Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

20 F. Wachenfeld. 
bei der einen Handlung durch krankhafte Vorstellungen beherrscht wird, bei einer anderen, 
um dieselbe Zeit vorgenommenen aber die Fähigkeit freier Willensbestimmung besitzt. Mit der 
Feststellung der Geisteskrankheit in einem Prozeß wird also keineswegs ein Privilegium für 
weitere Straftaten geschaffen. 
Außer durch krankhafte Störung kann die normale Geistestätigkeit durch Bewußtlosigkeit 
beeinträchtigt werden. Wollte man die Bewußtlosigkeit im buchstäblichen Sinne nehmen, so 
wäre ihre Anführung als Schuldausschließungsgrund überflüssig. Unter Bewußtlosigkeit ist hier 
eine nicht krankhafte Störung der Geistestätigkeit zu verstehen, bei welcher das borhandene Bewußt- 
sein zu schwach ist, die Wirkungen der Tätigkeit zu überblicken. Sie ist regelmäßig eine vorüber- 
gehende, wie z. B. Schlaf, Schlaftrunkenheit, Ohnmacht, Somnambulismus, Hypnose, hoch- 
gradiger Affekt. 
Ein vorübergehender Zustand, in dem die Schuldfähigkeit ausgeschlossen ist, wird bis- 
weilen vom Täter selbst herbeigeführt, um sich einer Verpflichtung zu entziehen. Ist dies der 
Fall, beseitigt er nicht die Verantwortlichkeit. Denn es kommt nur darauf an, daß die Schuld- 
fähigkeit zu der Zeit, in der die Ursache zum Erfolg gesetzt wurde, vorhanden war. Ob sie zur 
Zeit des Eintritts des Erfolgs fehlte, ist ohne Bedeutung. Darum macht sich der Bahnwärter 
strafbar, der sich betrinkt, um im Rauschzustand die Stellung der Weiche zu versäumen (actio 
libera in causa). 
8§ 9. Schuld im allgemeinen. 
Es kann im Augenblick der verbrecherischen Tätigkeit Schuldfähigkeit vorhanden sein, und 
es braucht doch kein Verbrechen vorzuliegen. Wer keine Ahnung davon hat, daß seine Tätigkeit 
den Tod eines Menschen bewirkt, hat wohl getötet, aber kein Verbrechen der Tötung begangen. 
Denn zu einem Verbrechen gehört nicht nur Schuldfähigkeit, sondern auch Schuld des Täters. 
Die Herbeiführung des Erfolgs kann an sich schuldhaft und zufällig geschehen. Grund- 
sätzlich strafen wir sie heute nur dann, wenn sie auf Schuld beruht. Anders war es früher. 
Wie das mosaische Recht nach dem Satz: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll wieder 
vergossen werden“ nur bloße Erfolgshaftung kannte, so machte auch das germanische Recht von 
der Tatsache der Herbeiführung des Erfolgs allein die Annahme eines Verbrechens abhängig 
und ließ das volle Wergeld auch bei zufälliger Tötung verwirkt sein. Erst allmählich trug das 
deutsche Recht auch der Schuld Rechnung und gelangte unter dem Einfluß des römischen Rechts 
zu der Anerkennung des Grundsatzes: „Ohne Schuld kein Verbrechen.“ 
Aber sogar im heutigen Recht tritt dieses Prinzip nicht in völliger Reinheit hervor. In 
einigen Nebengesetzen, namentlich in Zoll- und Steuergesetzen, wird vielfach von jeder Ver- 
schuldung abgesehen. Das Strafgesetzbuch selbst nimmt zwar kein einfaches Verbrechen ohne 
Schuld an, läßt aber erhöhte Strafe häufig von dem bloßen Eintritt eines schwereren Erfolgs 
abhängen. So wird z. B) die leichte schuldhafte Körperwerletzung statt mit Gefängnis mit Zucht- 
haus bestraft, wenn sie zufällig den Tod des Opfers verursachte (§ 226; andere derartige Fälle 
S#s 118, 178, 220, 221, 239 u. a. m.). 
Abgesehen von diesen Resten reiner Erfolgshaftung kann ein Verbrechen ohne Schuld 
nicht angenommen werden. 
Die Schuld bildet das Korrelat zur äußeren Handlung. Ja, man kann sie geradezu als 
eine innere Handlung ansehen. Denn ihr Wesen besteht in einer Verknüpfung von Tätigkeit 
und Erfolg im Innemn des Täters. Darum spricht man auch von einem subjektiven Kausal- 
zusammenhang, der zu dem objektiven hinzukommen müsse. 
Wie man nun um der Verursachung des Erfolges willen eine Handlung an- 
nimmt, so nimmt man die Schuld wegen der Vorstellung vom Erfolge an. Noch 
weiter läßt sich die Parallele ziehen: die Handlung ist in positiver und in negativer Fornt denkbar. 
Ebenso die Schuld. Die positive Vorstellung vom Erfolg ist der Vorsatz, die negative die Fahr- 
lässigkeit oder die pflichtwidrig unterlassene Vorstellung des Erfolgs. 
§ 10. Vorsatz. 
Abgrenzung. Liegt das Wesen des Vorsatzes in der Vorstellung vom Erfolg, so 
kann doch diese Vorstellung in verschiedener Weise bestehen. Der Erfolg kann als gewiß, als
	        
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