320 Ulrich Stutz.
Felten, Papst Gregor IX., 1889; Brem, Papst Gregor IX. bis zum Beginn seines
Pontifikats, Heidelberger Abhdl., 32. H., 1911.
b) Liber sextus. Unter Bonifaz VIII. wurde eine weitere Sammlung Bedürfnis,
welche die inzwischen ergangenen Dekretalen aufnahm, deren Zusammenstellung ohne Erlaubnis
des römischen Stuhls Gregor IX. untersagt hatte. Nach hergebrachter Weise fünfgeteilt, wurde
sie 1298 durch Versendung an die Universitäten publiziert (Bulle Sacrosanctae), als sechstes
den fünf Büchern der Gregoriana angereiht und Liber sextus genannt. Auch sie ist exklusiv,
nimmt aber die ausdrücklich vorbehaltenen (decretales reservatae) und von Bonifaz VIII. er-
lassenen, nicht verarbeiteten Dekretalen vom Entzug der Geltungskraft aus. Man zitiert:
c(aput) 1 de consuetudine in VI 1 4 oder c 1 in VI6 de consuetudine I 4.
Nilles, Über den Titel der Dekretalensammlung Bonifaz VIII., A. f. k. Kr. LXXXII,
1902; Göller, Zur Geschichte des zweiten Lyoner Konzils und des Liber sextus, R.O. XX, 1906.
c) Das Gesetzbuch der Clementinse ließ Klemens V. aus den Beschlüssen
des allgemeinen Konzils von Vienne 1311 und seinen eigenen Dekretalen herstellen. Die Ver-
öfsentlichung wurde 1314 durch den Tod des Papstes unterbrochen, so daß Johann XXII. 1317
eine neue Publikation der revidierten Sammlung durch Versendung an die Universitäten ver-
anlaßte (Bulle Quoniam nulla). Die Klementinen, gleichfalls fünf Bücher, lassen die nicht auf-
genommenen Dekretalen in Geltung. Man zitiert: c(aput) 1 de poenis V 8 in Clem. oder
Clem. c 1 de poenis V 8.
d) Offizielle Sammlungen kamen nicht mehr zustande. Es war eine Privatarbeit des
französischen Kanonisten Jean Chappuis, wenn er 1500 in seiner Ausgabe des Sextus und der
Klementinen den letzteren gleichzeitige und jüngere Dekretalen in zwei Sammlungen ansügte,
nämlich:
20 Dekretalen Johanns XXII. in 14 Titeln, zitiert z. B. caput) 1 de verborum signi-
licatione in Extrav. loh. XXII. XIV., als Extravagantes lohannis XXII. und
74 andere (bis Sixtus IV. 1471—84) als Extravagantes communes in hergebrachter Fünf-
teilung, wobei jedoch das vierte Buch de sponsalibus leer steht (vacat), zitiert z. B. c(aput) 1
de electione in Extrav. comm. 1 3.
Selbstverständlich blieb die Geltungskraft der einzelnen Dekretalen durch die Aufnahme
unberührt.
Göller, Die Publikation der Extravagante: Cum inter nonnullos Johanns XXII., R. O.
XXII, 1908.
Schon die Konzilien von Konstanz und Basel sprachen von den authentischen Samm-
lungen als corpus iuris (canonici), und seit Gregor XIII. wurde diese Bezeichnung für die vier
Sammlungen des Dekrets, des Liber Extra, bes Liber sextus und der Klementinen als Ganzes
offiziell . Dabei derogiert innerhalb desselben die spätere Sammlung, innerhalb des Dekrets
und der Extravaganten — die übrigen Teile gelten als einheitlich — die spätere Stelle der
früheren. Der Text des Ganzen wurde auf Veranlassung Gregors XIII. durch eine Kommission
von Kardinälen und Gelehrten, die sogenannten correctores Romani, revidiert und darnach 1582
eine ofsizielle Ausgabe veranstaltet.
Aus den zahlreichen Ausgaben des Corpus iuris canonici sind besonders hervorzuheben die
von Richter, 2 Bdee., 1839 (auch in Mig ne, Patrol. lat. CLXXXVII, 1855), und von Fried-
berg, 2 BRde., 1879/81 (das Dekret im ursprünglichen, nicht im verbesserten römischen Text).
Laurin, Introductio in Corpus iuris canonici, 1889.
3. Die Kanonistik. Im Zusammenhang mit der wiedergeborenen römischen Juris-
prudenz und von ihr nachhaltig beeinflußt entsteht in Bologna eine ihr und der Theologie gegen-
über selbständige kirchliche Rechtswissenschaft, die an Ruhm ihre ältere Schwester bald erreicht.
Muther, Roömisches und kanonisches Recht im deutschen Mittelalter, 1871; Seckel,
Beiträge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter, I, 1898; Ott, Das Eindringen des kanoni-
: Die Unterscheidung von corpus iuris clausum — ohne Extravaganten — und non clausum
— mit ihnen — beruht auf einem Mißverständnis.