Kirchenrecht. 357
sierte und ihre Besitzungen an die Betroffenen aufteilte, indes den Landesherren anheimgestellt
wurde, die landsässigen Stifter gleichfalls aufzuheben und ihr Gut einzuziehen. Die vom Reichs-
deputationshauptschluß nicht beabsichtigte Folge dieser Maßregel war die Auflösung auch der
Domkapitel und überhaupt des ganzen tausendjährigen katholischen Kirchenverbandes. Für
die Kirche selbst erwies sich das Ereignis später in mehr als einer Hinsicht als wohltätig; eine
ganze Reihe von feudalen und anderen Mißständen wurde sie nunmehr los. Auch war die
Maßregel im Interesse eines gesunden deutschen Staatslebens früher oder später eine Not-
wendigkeit: ohne sie wäre die spätere Einigung Deutschlands ein Ding der Unmöglichkeit ge-
wesen. Und dennoch war und bleibt sie ein schroffer Bruch wohlbegründeten, auch staatlich
anerkannten, positiven Rechtes und ein gewaltsamer Eingriff, der das kirchliche Leben schwer
schädigte. Kirchenpolitisch hat sich denn auch das damals begangene Unrecht schwer gerächt.
Die unentbehrliche materielle Grundlage für ein selbstbewußtes, nationalgefärbtes katholisches
Kirchentum war ebenso wie in Frankreich auf lange dahin. Noch behaupteten sich geraume
Zeit die hergebrachten febronianisch-josephinischen Anschauungen in den Köpfen der in ihr groß
gewordenen Generation, insbesondere auch der Geistlichkeit. Aber schon begann inmitten der
allgemeinen Auflösung, wie stets in Zeiten der Not, der Gedanke der katholischen Einheit wieder
eine Großmacht zu werden. Die Säkularisation gehört seit einem Jahrhundert der Geschichte
an. Noch heute daraus Rechtsansprüche herleiten zu wollen, ist ebenso verkehrt 1, wie zu ver-
kennen, daß aus diesen Stürmen mit geschichtlicher Notwendigkeit in neuer Kraft erstehen mußte
das von den Zeitgenossen teils in übereilter Resignation, teils in voreiliger Hoffnung bereits
aufgegebene Rom.
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1 Etwas anderes ist es, daß die Nachfolge des Fiskus in Rechte und Pflichten, die das säku-
larisierte Gut gegenüber Dritten, besonders gegenüber gnzelnen kirchlichen Instituten und Ge-
meinden trafen, noch heute nicht selten praktisch nachwirkt.