Kirchenrecht. 359
sich einfanden, vom Wiener Kongreß seine alte Stellung samt dem Kirchenstaat und gewissen
Ehrenrechten (die Nuntien geborene Doyens der diplomatischen Korps) wieder zurück. Nur
die Restauration der alten deutschen Kirche wurde abgelehnt, wogegen die Kurie abermals
protestierte. Bedeutete schon das Kongreßergebnis einen Sieg der päpstlichen Diplomatie,
so verstand es diese, unter Pius VII. geleitet durch den genialen Kardinalstaatssekretär Consalvi,
später unter Leo XII. und nachmals unter Gregor XVI. mit nicht geringem Geschick vertreten
durch den dasselbe Amt bekleidenden Bernetti, mit größter Gewandtheit und zähester Ausdauer
in jahrzehntelanger Verhandlung mit den deutschen Regierungen Schritt für Schritt neue
Erfolge zu erringen. Durch das bayerische Konkordat und die deutschen Zirkumskriptionsbullen,
die beim geltenden Recht zu behandeln sein werden, erhielt das katholische Deutschland von
neuem eine bischöfliche Verfassung. Dabei interessiert in diesem Zusammenhang nicht die Tat-
sache selbst, sondern ihre Verumständung. Nicht bloß liefen Bestimmungen mit unter wie der
erste Artikel des bayerischen Konkordats über die Stellung des Katholizismus im allgemeinen
oder der dreizehnte daselbst über die Unterstützung der kirchlichen Bücherzensur oder die auch
anderwärts wiederkehrenden in betreff der Durchführung der Seminarbildung des Klerus,
welche staatlich gewährleistete Rechte anderer Konfessionen oder der einzelnen Untertanen oder
doch staatliche Interessen verletzten, und deren sich die Regierungen nur durch das zweifelhafte
Mittel eigenmächtiger Zusätze oder der Nichtplazetieuung zu erwehren vermochten. Wichtig
war vor allem, daß man staatlicherseits von der anfänglich gehegten josephinischen Idee ein-
seitiger Regelung dieser Dinge hatte abgehen müssen, femer daß Rom, weil hinter dem ehe-
maligen deutschen Sonderkirchenrecht kein Episkopat und kein Klerus mehr stand, der es wirksam
zu vertreten vermochte, auf Grund des papalen gemeinen Rechts verhandeln konnte, und
endlich, daß die katholische Kirche Deutschlands das, was für sie und ihren neuen Episkopat
erreicht wurde, Rom und dessen Gegengewicht gegen den Staatsabsolutismus verdankte. Daß
dieser und seine Bureaukratie sich weiterhin mit einer Energie, die einer besseren Sache wert
gewesen wäre, auf veraltete staatskirchenrechtliche Anschauungen und ganz besonders auf deren
oft überaus kleinliche Einzelanwendung versteiften, arbeitete den Bestrebungen nach möglichster
Neubelebung des altkirchlichen Rechtes wirksam in die Hände. An den Kölner Wirren, die
durch die Neueinschärfung des strengen katholischen Mischehenrechtes veranlaßt wurden und
durch das Ungeschick der preußischen Regierung, welche statt persönlicher Garantien schriftliche
erstrebte, 1841 mit einem staatlichen Mißerfolg endeten, war denn auch nicht die schließliche
Freigabe der einzelnen kirchlichen Bestimmung die Hauptsache, die über kurz oder lang doch
hätte erfolgen müssen, sondern daß der Streit zu jahrelanger Agitation und Aufregung, zu
einer heftigen Reibung von Kirche und Staat, zu einem festen Zusammenschluß weiter katho-
lischer Kreise und zu einer kräftigen Neubelebung kirchlichen Rechtsbewußtseins Anlaß gab. Und
doch lernte man anderswo auch jetzt noch nichts. Am Oberrhein, wo der neue Episkopat noch
lange durchaus staatstreu und wohlgesinnt war und auf dem loyalen Weg von Bitten und
Vorstellungen die doch schon durch die veränderte Zeitlage geforderte größere Bewegungs-
freiheit für die Kirche zu erlangen suchte, hätte sich die Gelegenheit geboten, das überlebte abso-
lutistische Staatskirchentum rechtzeitig zu mildern und allmählich in die Gestalt einer bloßen
staatlichen Kirchenhoheit überzuführen. Jedoch die Regierungen, denen es keineswegs an
Wohlwollen, um so mehr aber an Einsicht und Sachkunde gebrach, hielten, in der Meinung,
daß die staatliche Vorherrschaft nur in der hergebrachten Form sich behaupten lasse, so lange
hartnäckig daran fest, bis schließlich in Freiburg und Rottenburg Bischöfe sich fanden, die, ihres
Klerus und eines großen Teils der Bevölkerung sicher, in offener Auflehnung dem staatlichen
Recht das kanonische gegenüberstellten. Wurden auch schließlich nach dem Fall der unter dem
Einfluß des österreichischen Konkordats vom 18. August 1855 eingegangenen Konventionen
in den Jahren 1860 (Baden) und 1862 (Württemberg) die Rechtsverhältnisse der katholischen
Kirche auf der Grundlage der staatlichen Souveränität und der daraus fließenden staatlichen.
Kirchenhoheit durch Staatsgesetz geregelt, so mußte dies doch wiederum unter Übernahme oder
Freigabe von viel neubelebtem Kirchenrecht geschehen.
Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage 7, 3 Bde., 1885; Ruck, Die Sendung
des Kardinals de Bayane nach Paris (1807—08), Heidelberger Ak. Abhdl., phil.-hist. Kl., I, 1913;
Wittichen, Zu den Berhandlungen Württembergs mit der Kurie 1808, O. u. F. VI, 1904