Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Kirchenrecht. 371 
nur zeitweilig zur Anwendung gelangendes Recht auf positive Religionsbestimmung wurde 
(ius rekormandi cultus). Damit war die Sache der Reformation von Rechts wegen in die 
Hände der Fürsten und Städte gegeben und das evangelische Landeskirchentum angebahnt. 
v. Bonin, Die praktische Bedeutung des ius reformandi, Stutz, Kr. A., 1. H., 1902; 
Greiff, Das staatliche Reformationsrecht, Erlanger jur. Diss., 1902. 
Die zweite Generation evangelischer Landesherren stellte sich zur Reformation mehr 
politisch. Luther mußte sich den Schutz seiner Sache durch das Bündnis von Schmalkalden 
(1531) gefallen lassen. Zeitweise die Grundlage einer imposanten Machtstellung der Evan- 
gelischen (Nürnberger Religionsfrieden von 1532), wurde es später die Quelle mancher, auch 
moralischer Verlegenheiten, so namentlich 1540 durch die Doppelehe Landgraf Philipps von 
Hessen, die Luther, um den mächtigen Verbündeten nicht dem Gegner in die Arme zu treiben 
(der Kaiser verzieh tatsächlich später), durch Beichtrat im geheimen zuzulassen sich veranlaßt 
sah, was ihm allerdings sein Schriftprinzip (Patriarchenpolygamie) erleichterte, aber doch 
nicht, ohne daß er gegen seine innere UÜberzeugung handeln mußte. Der durch dynastische 
Interessen veranlaßte Abfall des Herzogs Moritz von Sachsen brachte die Evangelischen im 
Schmalkaldischen Kriege, vor dessen Ausbruch Luther am 18. Februar 1546 in seiner Vater- 
stadt starb, in große Bedrängnis und führte 1548 zu dem diesmal den Katholischen vorteil- 
haften Augsburger Interim (nur Priesterehe und Laienkelch zugestanden), das, in Süddeutsch- 
land gewaltsam durchgeführt, die evangelische Sache schwer schädigte. Da bewirkte Moritz 
von Sachsen, der in seinen Landen nicht aufgehört hatte, die evangelische Sache zu fördern, 
vom Kaiser plötzlich abschwenkend, einen völligen Umschwung. 
v. Schubert, Bündnis und Bekenntnis 1529/30, Schrift. d. Ver. f. Ref.-Gesch., H. 98, 
1908; Paulus, Luthers Lebensende, 1896; N. Müller, Zur Geschichte des Interims, Ib. 
f. Brandenb. Kg. V, 1908; Rockwell, Die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen, 
1904; Köhler, Die Doppelehe Landgraf Philipps von Hessen, H. Z. XCIV, 1905; Brieger, 
Luther und die Nebenehe des Landgrafen Philipp von Hessen, Preuß. Ibb. CXXXV, 1909; 
Ißleib, Das Interim in Sachsen, N. A. f. sächf. Gesch. XV., 1894; Bossert, Das Interim 
in Württemberg, Schrift. d. Ver. f. Ref.-Gesch., H. 46, 47, 1895; Wolf, Das Augsburger 
Anerim, D. Z. f. Gw. II, 1898; Herrmann, Das Interim in Hessen, 1901; Sehling, 
ie Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, 1899. 
§ 46. Die rechtliche Anerkennung des neuen Glaubens und dessen Behauptung 
gegenüber der katholischen Gegenreformation. 
Trotzdem Moritz in der Schlacht von Sievershausen 1553 den Tod fand, gingen die von 
ihm 1552 im Passauer Vertrag für die Evangelischen errungenen Vorteile über in den end- 
gültigen Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555. Mit ihm hörte die evangelische 
„Religion“ reichsrechtlich auf, als Ketzerei zu gelten. Denn das auf den mittelalterlichen Ge- 
danken des einheitlichen Corpus christianum gestützte Erfordernis der religiösen Uniformität 
des Reichs wurde jetzt ausgegeben. Doch eine eigentliche Religionsfreiheit gewährte auch den 
Ständen der Friede nicht. Nur die alte und die „Augsburgische Konfessions-Religion“ wurden 
anerkannt, und nur zugunsten der einen oder der anderen sollte auch das Reformationsrecht 
geübt werden (nicht auch zugunsten des Zwinglianismus!), so daß an die Stelle der einen 
einfach zwei Zwangskirchen traten. Immerhin gab es fortan auch für die altgläubigen Stände 
zum neuen Glauben einen wenigstens indirekt zugestandenen Ubertritt. Bloß sollte derjenige 
eines geistlichen Standes nicht auch den Verlust des betreffenden Bistums oder Stifts für die 
Katholischen im Gefolge haben; die Altgläubigen hätten sonst nicht bloß zahlreiche weitere Macht- 
verluste zu gewärtigen gehabt, sondern wären Gefahr gelaufen, sich aus Mangel an den nach 
ihrem Kirchenrecht erforderlichen Titeln und Pfründen von den notwendigen kirchlichen Oberm 
entblößt zu sehen. So der geistliche Vorbehalt, reservatum ecclesiasticum, der aber nicht als 
vereinbart, sondern lediglich als kraft kaiserlicher Gewalt auferlegt galt und von den Evangelischen 
nicht anerkannt wurde. Weiter suspendierte der Frieden für diese die geistliche Jurisdiktion 
der Bischöfe und das Patronatrecht der nicht reichsunmittelbaren geistlichen Stände, was sie 
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