Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

374 « Ulrich Stutz. 
Achtung und ein ehrliches Begräbnis ausdrücklich zu. Bei bloßem Konfessionswechsel des 
evangelischen Landesherrn wurde, unter reichsgesetzlicher Gutheißung der brandenburgischen 
Praxis, das Erfordemis der Ubereinstimmung von landesherrlichem und Untert anenbekenntnis 
überhaupt aufgegeben; 
4. die Religionsübung verschiedene, durch die an den Frieden sich anlehnende Wissenschaft 
und Praxis noch verfeinerte Abstufungen haben. Man unterschied: a) die devotio 
domestica, den Hausgottesdienst, und zwar entweder bloß als simplex mit hausväterlicher 
Andacht ohne Zuziehung eines Geistlichen (so nach der späteren, restriktiven Praxis für die bloß 
Geduldeten), wobei jedoch der Besuch öffentlichen Gottesdienstes in der Nachbarschaft freistand, 
oder als qualificata, also mit einem Geistlichen (so anfänglich wohl für alle, später nur für frei- 
willig bevorzugte Geduldete), b) das exercitium religionis, die Religionsübung, 
und zwar als privatum, d. h. als das Recht zur Gemeindebildung, aber unter Beschränkung 
der betreffenden Kirche auf die Stellung eines privaten Vereins, und zum Gemeindegottes- 
dienst, aber bei verschlossenen Türen, oder als publicum, also mit Erhebung zur Staats- 
kirche, wodurch das Kirchenrecht öffentliches Recht, die Kultuskosten Staatslasten wurden, und 
mit dem Recht zu öffentlicher Gottesverehrung (Türme, Glocken, Prozessionen); 
Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwicklung 
und heutigen Geltung in Deutschland, 1891 Sägmüller, Der Begriff des exereitium re- 
ligionis publicum privatum und der devotio domestica im Westfälischen Frieden, Th. O. XC, 
1908; Montagrin, Histoire de la tolérance religieuse, 1905. 
5. das Reformationsrecht, wie schon zu 3. bemerkt, fortbestehen und mit der Landeshoheit 
(nicht mit dem Patronat) verbunden 1, der landesfürstlichen Hoheit anhängig (Prager Frieden 
1635) sein. Mit dem Recht selber wurde aber aus der vorangegangenen gewohnheitsrechtlichen 
Entwicklung dessen Beschränkung übernommen. Es sollte keine Verfügungsbefugnis über die 
Lehre und wesentliche Teile des Kultus mehr geben. Es war nur noch ein ius reformandi 
exercitium religionis. Auch für die katholischen Stände war nunmehr das Ketzerrecht beseitigt, 
und für die evangelischen, die zwar von Anfang an, außer wo mit der Glaubensverschiedenheit 
aufrührerische und sektiererische Agitation (Täuferei, Bauernaufstand) sich verbanden, weder 
Glaubens- noch Bekenntniszwang geübt, wohl aber Religionspolizei getrieben hatten (Verbot 
der Messe, Gebot der Schließung katholischer Kirchen sowie der Teilnahme am evangelischen 
Gottesdienst und Unterricht, die ja — nach Luther — den Andersgläubigen nichts schade; also 
keine reformatorische Toleranz im modemen Sinn, aber auch kein kanonischer, gegen die innere 
Überzeugung gerichteter Zwangl), wurde nunmehr die Intoleranz auch in dieser abgeschwächten 
Gestalt unmöglich gemacht. Nur der Pfarrzwang mit seinen Formvorschriften und steuerrechtlichen 
Folgen blieb auch ferner für und gegen beide Teile bestehen. Im übrigen unterschied man 
fortan im Reformationsrecht: a) das ius receptionis oder der Aufnahme, die in der rechtsnot- 
wendigen oder freiwilligen Gewährung des exercitium religionis bestand, aber bei bloßem 
Konfessionswechsel des evangelischen Landesherrn auf die unwiderrufliche Einrichtung von Hof- 
und anderen Gemeinden auf Kosten der Angehörigen des neuen landesherrlichen Bekenntnisses 
beschränkt war, b) das ius tolerandi zur unfreiwilligen, später (Nichtaugsburgischen gegenüber) 
auch freiwilligen Duldung mit Gewährung der devotio domestica; c) das ius reprobandi, den 
Religionsbann im engeren Sinn, d. h. die Befugnis, Andersgläubige auf seinem Gebiet nicht 
zu dulden, sondern zur Auswanderung zu zwingen; 
Köhler, Reformation und Ketzerprozeß, 1901; Nathusius, Zur Geschichte des 
Toleranzbegriffs, Greifsw. Studien f. Cremer, 18951 Hermelink, Der Toleranzgedanke 
im Reformationszeitalter, Schrift d. Ver. f. Ref.-Gesch., H. 98, 1908; Paulus, Protestantismus 
und Toleranz im 16. Jahrhundert, 1911; Völker, Toleranz und Intoleranz im Zeitalter der 
Reformation, 1912. 
6. dieser Religionsbann aber seine Schranke finden an dem Stand auch nur eines 
Tages des Normaljahrs (annus decretorius) 1624. Jede der reichsrechtlich anerkannten 
Religionen mußte überall, außer in den österreichischen Erblanden, bezüglich des e xercitium 
1 Cum statibus immediatis cum iure territorü et superioritatis ex communi per totum 
imperium hactenus usitata praxi etiam ius reformandi exercitium religionis competat.
	        
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