46 F. Wachenfeld.
Besonderer Teil.
Der besondere Teil des Strafrechts dient der Darstellung der einzelnen Verbrechen.
Hierzu bedarf es einer sachgemäßen, dem Wesen der Delikte entnommenen Gruppierung.
Jedes Verbrechen stellt sich als Angriff auf ein rechtlich geschütztes Interesse, auf ein Rechts-
gut dar. Träger des Rechtsguts kann eine einzelne Person oder die Gesamtheit, der Staat,
sein. Demgemäß kann man zwei Gruppen von Verbrechen unterscheiden: Verbrechen gegen
Rechtsgüter des einzelnen und Verbrechen gegen Rechtsgüter des Staates. Zwischen beiden
läßt sich eine Mittelgruppe aufstellen, welche sich aus dem Gegensatz von Allheit und Einheit
zur Mehrheit ergibt. Das sind die Verbrechen gegen Rechtsgüter der Gesellschaft.
Erster Abschnitt: Verbrechen gegen Rechtsgüter
des einzelnen.
Je nach dem verletzten Rechtsgut unterscheidet man Verbrechen gegen: 1. das Leben,
2. die körperliche Integrität, 3. die Freiheit, 4. die Ehre und 5. das Vermögen.
§ 28. Verbrechen gegen das Leben.
Das Leben als Rechtsgut kommt dem menschlichen Lebewesen von dem Augenblicke ab
zu, in dem der Mensch ins Dasein tritt, also nicht vor der Geburt, sondern erst mit dieser.
Den Beginn seiner selbständigen Existenz wird man mit dem Beginn der Atmung durch die
Lungen anzunehmen haben. Von da ab besteht das Rechtsgut des Lebens bis zum natürlichen
oder gesetzlichen Tode, so daß die Tötung eines Sterbenden oder eines zum Tode Verurteilten
noch ein Verbrechen gegen das Leben ist.
Jeder Mensch genießt den gleichen Schutz. Nur der Kaiser und der eigene Landesherr
des Täters nehmen eine besondere Stellung ein, indem deren Tötung als Hochverrat erscheint
(§ 80 St G.).
Da das Verbrechen ein Eingriff in fremde Rechtsgüter bedeutet, bleibt der Selbstmord
und damit auch die Teilnahme an ihm straflos.
I. Mord und Totschlag (§§ 211, 212 St GB.). Die Tötung erscheint nicht als
einheitliches Delikt, sondern löst sich in eine Reihe von Tötungsverbrechen auf. Unter ihnen
sind die schwersten: Mord und Totschlag (ös 211, 212 St GB.). Nach heutigem Recht (anders
z. B. nach Art. 137 CCC., Art. 146, 151 des bayrischen StGB. von 1813, Art. 135, 140 des
österr. StE#B.) unterscheiden sich beide nicht durch die Schuldform. Auch der Totschläger
muß den Tod seines Opfers vorsätzlich herbeigeführt haben. Sein Vorsatz braucht kein ab-
geschwächter, indirekter oder eventueller zu sein und kann selbst in Absicht übergehen, ohne daß
die Tat den Charakter als Totschlag verliert. Diese wird erst dann zum Mord, wenn sie mit
UÜberlegung ausgeführt wird. Nur die Zeit der Ausführung kommt in Betracht. Es ist daher
mit der Annahme des Totschlags sehr wohl verträglich, daß ein überlegter Plan vorausging.
Da Mangel an UÜberlegung und Affekt nicht identisch sind, bietet die Hitze des Zormns kein
sicheres Zeichen für die Unüberlegtheit der Tat. Aus demselben Grunde läßt sich aus der
Ruhe und dem Gleichmut des Täters kein unbedingt sicherer Schluß auf das Vorhandensein
der Uberlegung ziehen. Es fehlt überhaupt an genügend zuverlässigen Merkmalen, um die
spezifische Denktätigkeit des Mörders konstatieren zu können. Das ist besonders deshalb zu
beklagen, weil von der Annahme der Uberlegung die Todesstrafe abhängt. Nach positivem
Recht begründet die UÜberlegung den allergrößten Strafunterschied. Dieselbe Tat, die als
Mord mit dem Tode bestraft wird, wird bei fehlender Uberlegung als Totschlag mit zeitiger
Zuchthausstrafe geahndet. Und diese Strafe kann sogar auf 6 Monate Gefängnis herabgesetzt
werden, wenn die vorsätzliche Tötung unter mildernden Umständen, namentlich im Zorn auf
Provokation hin geschah (5 213 StGB.). Dies ist gegenüber der absoluten Strafe des Mordes