Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Bölkerrecht. 485 
nationalen Rechtsordnung im einzelnen Fall der Vorzug gebühre, — praktisch bestimmt jeder 
Staat zunächst durch seine Gesetzgebung, welche Rechtsverhältnisse er seiner Herrschaft unter- 
stellen, nach welcher Rechtsordnung er sie regeln will. (Vgl. jedoch § 27.) Bei dieser Kom- 
petenzabgrenzung findet er nur an der Rechtssphäre anderer Staaten eine Schranke. Ent- 
steht hierbei ein Konflikt, so ist es ein solcher zwischen den beteiligten Staaten, nicht zwischen 
ihren Angehörigen. 
2. Notwendig ist dagegen eine besondere Rechtsordnung zur Regelung der Beziehungen 
zwischen den Staaten selbst. Das innerstaatliche Recht (das Landesrecht) versagt hier Aber 
auch die Staaten stehen in unmittelbarer und fortdauernder Berührung miteinander. Ihre 
Gemeinschaft bedarf deshalb gleichfalls rechtlicher Regelung. Sie ist durch das Völkerrecht 
oder intermationale öffentliche Recht geschaffen. 
Das Völkerrecht ist der Inbegriff der Rechtsnormen für das 
Verhalten der Staaten oder staatsähnlichen Verbände als solcher 
zueinander. 
1. Das Völkerrecht ist eine Rechtsordnung für eine Mehrheit von Staaten. Das Landes- 
recht hat zur notwendigen Voraussetzung immer nur das Bestehen des einen Staats, für dessen 
Bereich es erlassen wurde. Gingen alle Völker der Erde in einem einzigen Weltstaat auf, so 
gäbe es nur Landesrecht; für ein Völkerrecht wäre kein Raum. 
2. Das Völkerrecht regelt nur die Beziehungen von Staaten, welche miteinander dauernd 
und grundsätzlich friedlich Verkehr pflegen; denn nur sie bilden eine Gemeinschaft, welche recht- 
licher Ordnung fähig und bedürftig ist. Würde ein Staat sich von der Außenwelt vollständig 
absperren, so könnte es für ihn kein Völkerrecht geben. 
3. Das Völkerrecht regelt nur das Verhalten der Staaten als solcher zueinander, d. h. 
die Verhältnisse, in welche der Staat in seiner Eigenschaft als Staat eintritt. Privatrechtliche 
Geschäfte zwischen Staaten unterliegen ihm nicht. 
4. Das Völkerrecht regelt nur das wechselseitige Verhalten der Staaten, weder das der 
Menschen noch das zwischen Staat und Mensch. Als Rechtssubjekte kennt das Völkerrecht allein 
die Staaten. Trotzdem gilt auch hier der Satz: omne ius hominum causa constitutum. Nur 
im Interesse der Menschen pflegen die Staaten Verkehr. Jenseits der Heimat, fremden Staaten 
gegenüber sichert das Völkerrecht dem Menschen Schutz. Aber es betrachtet ihn nicht als Sub- 
jekt von Rechten, sondern als Objekt staatlicher Herrschaft und staatlichen Schutzes (vgl. unten § 12). 
Ebensowenig sind Rechtssubjekte im Völkerrecht die Völker als solche und unabhängig 
von staatlicher Organisation. Der Ausdruck „Völkerrecht“ ist nicht genau, aber durch jahr- 
hundertealtes Herkommen geheiligt. Die staatlich organisierten Völker werden vom Völker- 
recht als individuelle, durch ihre Organisation bestimmte und geschiedene Personeneinheiten 
angesehen; für gesonderte Volksstämme innerhalb der Staaten ist kein Raum. Die Beziehungen 
zu unabhängigen Volksstämmen, welche es noch nicht zu staatlicher Organisation gebracht haben, 
sind dagegen völkerrechtlicher Natur, sobald sie überhaupt rechtlicher Regelung unterworfen 
sind. Nach der Aufteilung des größten Teils der Erde unter die Kolonialmächte gibt es nur 
noch wenig unabhängige Stämme (vgl. §§ 3 und 4; de Louter 1 41/42). 
8§8 2. 2. Die Rechtsnatur des Völkerrechts. 
Literatur. Austin: The province of jurisprudence determined (2), London 1861; 
Bierling: Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, Bd. 1, Gotha 1877 — Juristische Prinzipien- 
lehre, Freiburg i. B. und Leipzig 1894 ff.; Lasson: Prinzip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 
1871 — Zorn: Staatsrecht des Deutschen Reichs 1 (2) 497 ff.; Triepel 103 ff.; Jellinek 364/68; 
Bekker: Deutsche Juristenzeitung 1912 S. 19/20; Geffscken jun.: Das Gesamtinteresse als Grund- 
lage des Staats- und Völkerrechts, Leipzig 1908, S. 30 ff.; Higgins: The binding force of inter- 
national law, Cambridge 1910; Schücking: Der Staatenverband der Haager Konferenzen, Leipzig 
1912; Wehberg: Das Problem eines internationalen Staatengerichtshofs, Leipzig 1912. 
Das Völkerrecht ist positives, geltendes Recht. Es ist aber zugleich die Rechtsordnung 
einer unabhängigen, keiner höheren Gewalt unterworfenen Staatengesellschaft. Deshalb weist 
es erhebliche Verschiedenheiten vom Landesrecht der einzelnen Staaten auf.
	        
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