Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Strafrecht. 47 
eine um so ungerechtfertigtere Milderung, als gerade in dem provozierten Totschlag der Kern 
des ursprünglichen Totschlagsbegriffs enthalten ist. 
Die verwandtschaftliche Beziehung des Täters zu seinem Opfer, die in unserem älteren 
und im ausländischen Rechte einen besonderen Qualifikationsgrund abgibt, ist im geltenden. 
Rechte nur nach zwei Richtungen hin von Bedeutung: die Tatsache, daß der Getötete ein 
Aszendent des Täters ist, bewirkt beim Totschlag eine Strafschärfung (§ 2 5 StGB.); der 
Batermord dagegen hat keine Auszeichnung erfahren und macht nicht einmal, wie nach preußi- 
schem Recht, die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte obligatorisch. Außerdem ist das. 
Verwandtschaftsverhältnis von Bedeutung bei der Kindestötung. 
II. Kindestötung. Kindestötung ist die Tötung des neugeborenen Kindes durch. 
die eigene Mutter (5 2 7 StGB.). Obwohl diese Tat vielfach, ja meist ohne Uberlegung ge- 
schieht, spricht man nur von Kindesmord; denn die Mutter, die sich an dem neugeborenen 
Kinde vergreift, will dieses nicht unschädlich machen, sondern geradezu ums Leben bringen. 
Die vulgäre Bezeichnung „Kindesmord“ ist ein deutliches Zeichen dafür, daß unsere heutige 
Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag dem Volksrechtsbewußtsein nicht entspricht. Nach 
heutigem Rechte gibt es, so sehr es dem Sprachgebrauch zuwider ist, auch einen Kindestot- 
schlag, mit anderen Worten: die Kindestötung umfaßt in gleicher Weise überlegte und 
nicht überlegte Tötung. Die Uberlegung begründet hier also nicht einmal die Anwendung 
eines besonderen Strafrahmens, und dies läßt es zweifelhaft, ob ihr wirklich eine so schwer- 
*¾9t Bedeutung zukommt, wie es nach der Formulierung des heutigen Mordbegriffs zu 
ein scheint. 
Während die Kindestötung von der CCC. (Art. 131) und einigen ausländischen Rechten, 
z. B. dem französischen (Art. 302 c. p.), als ein besonderes schweres Tötungsverbrechen an- 
gesehen wird, nimmt sie in Deutschland seit der Aufklärungszeit eine privilegierte Stellung 
ein. Der Grund der Milderung, über den man vielfach streitet, liegt nach positivem Recht nicht 
in dem besonderen Verhältnis der Mutter zum Kinde, auch nicht in der geminderten Zu- 
rechnungsfähigkeit, welche man für die Gebärende anzunehmen geneigt ist. Beide Gründe 
schlagen dem positiven Rechte gegenüber deshalb nicht durch, weil nach ihm die Milderung 
lediglich der unehelichen Mutter zuteil wird. In Rücksicht hierauf läßt sich die Privi- 
legienumg nur auf das der Täterin regelmäßig innewohnende Motiv der Furcht vor Schande 
zurückführen. Dieser ratio legis muß die Tötung, um als Kindesmord behandelt werden zu 
können, spätestens gleich nach der Geburt geschehen. Denn der Geburtsakt kann, wenn das Kind 
bereits längere Zeit gelebt hat, kaum verheimlicht werden. Ist er aber publik geworden, hört 
die Möglichkeit, Schande zu verbergen, auf. 
III. Tötung auf Verlangen. Ein weiteres privilegiertes Tötungsdelikt ist die 
Tötung auf Verlangen (§ 216 StG#B.). Da nur ausdrückliches und einstliches Verlangen die 
mildere Strafe dieses Sonderdelikts begründet, bleibt die Tat bei bloßer Einwilligung Mord oder- 
Totschlag. Sie ist Vergehen. In Ermangelung einer Strafbestimmung über Versuch kann 
dieser nicht geahndet werden, und es fragt sich nur, ob die etwa in dem Versuche enthaltene 
Körpewerletzung Strafe verdient. Dies muß aber verneint werden, weil sonst der Versuch 
nach einem schwereren Gesetz als die vollendete Tat bestraft werden könnte. 
Kindestötung und Tötung auf Verlangen sind neben Mord und Totschlag die einzigen 
selbständigen Tötungsdelikte. Die Tötung bei Unternehmung einer strafbaren Handlung. 
(/214 StGB.) ist also ebenso wie die Aszendententötung nichts weiter als eine Qualifikation 
des Totschlags. 
IV. Fahrlässige Tötung. Alle genannten Tötungsverbrechen erfordern Vorsatz. 
Bei dem Angriff auf das höchste Rechtsgut ist aber auch mit Recht die Fahrlässigkeit unter- 
Strafe gestellt (§ 222 StGB.). Daß sie die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen 
der verbrecherischen Tätigkeit und dem Tod des Opfers nicht entbehrlich macht, versteht sich 
von selbst. Die leichtsinnigste Hantierung, welche eine tödliche Verwundung herbeiführt, 
ist keine fahrlässige Tötung, sobald der Verwundete von einem Dritten den Gnaden- 
stoß erhält.
	        
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