500 Paul Heilborn.
So auch das Völkerrecht. Als Personen kennt es aber nur die Staaten, nicht die Verbände
innerhalb der Staaten.
Nicht jeder Staat ist völkerrechtliche Person (§ 9). Die völkerrechtliche Persönlichkeit ent-
behren neben den gänzlich isolierten auch die Staaten ohne eigene auswärtige Beziehungen.
Die einzelnen Staaten der Nordamerikanischen Union können als solche mit fremden Staaten
keinen Verkehr pflegen; er ist der Union vorbehalten; die einzelnen Staaten können keine völker-
rechtlichen Rechte erwerben, keine Pflichten auf sich nehmen, sind auch nicht deliktsfähig.
II. Die Souveränität. Der von der französischen Staatsrechtswissenschaft aus-
gebildete Begriff der Souveränität bezeichnet „die Eigenschaft des Staats als höchstes, herr-
schendes Gemeinwesen“. Als solches ist er keiner fremden Herrschaft unterworfen, aber allen
Menschen und Korporationen auf seinem Gebiet übergeordnet. Fremden Staaten gegen-
über tritt das negative Merkmal, die Freiheit von fremder Herrschaft, zunächst hervor. Die
Völkerrechtswissenschaft kann aber bei dieser Betrachtungsweise nicht stehen bleiben. Der Staat
lebt in einem Kreise durch Rechtsgemeinschaft verbundener Staaten; er ist keinem fremden
Willen unterworfen, aber er findet seine Schranke an der Rechtssphäre anderer Staaten; er
hat nicht volle Freiheit, sondern nur die vom Völkerrecht gestattete Freiheit, also höchstens die
nämliche Freiheit wie alle anderen Staaten. Weiter aber hat er auch positiv die völkerrechtliche
Rechts- und Handlungsfähigkeit: er kann Träger völkerrechtlicher Rechte und Verpflichtungen
sein; er kann mit völkerrechtlicher Wirkung handeln. Hier sind Abstufungen denkbar, und sie
kommen auch tatsächlich vor. Ein Staat mit beschränkter Rechts= oder Geschäftsfähigkeit ist in
gewisser Hinsicht einem fremden Staat unterworfen, hat die vom Völkerrecht gewährte Freiheit
nicht im ganzen Umfang. Dagegen hat sie der Staat mit voller völkerrechtlicher Rechts- und
Handlungsfähigkeit; er ist sui juris, souverän im völkerrechtlichen Sinne. Nichtsouverän sind
Staaten ohne völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit: die einzelnen Staaten der Nord-
amerikanischen Union; halbsouverän sind 1. Staaten von beschränkter Rechts= oder Geschäfts-
fähigkeit, 2. geschäftsunfähige, aber rechtsfähige Staaten.
III. Die Gleichheit. Souveräne Staaten haben volle völkerrechtliche Rechts-
und Handlungsfähigkeit. Sie muß bei allen notwendig die gleiche sein. Daraus ergibt sich
die Gleichheit aller souveränen Staaten in völkerrechtlichen Beziehungen. Sie entspricht der
in modernen Verfassungen verkündeten Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und will
ebensowenig wie diese die tatsächlichen Machtverhältnisse beseitigen oder gar leugnen. Der
kleine Staat kann die nämlichen Rechte erwerben wie der große; er kann Rechtshandlungen
mit gleicher Wirkung vornehmen. — Folgerungen:
a) Kein souveräner Staat ist verpflichtet, den von anderen ausgebildeten Völkerrechtssatz
anzuerkennen. An den Konferenzen zur Regelung von Rechts- und Verwaltungsangelegen-
heiten nehmen die kleinen Staaten regelmäßig teil.
b) Kein souveräner Staat kann von der Regelung der Angelegenheiten ausgeschlossen
werden, an denen er interessiert ist. Aachener Protokoll vom 15. November 1818 Nr. 4 (Fleisch-
mann 25). Infolge ihrer Weltpolitik sind die Großmächte an den Angelegenheiten fremder
Staaten zwar öfter interessiert als die kleinen Mächte, sie sind aber nicht berechtigt, die An-
gelegenheiten dritter Staaten ohne deren Mitwirkung, allgemeine Angelegenheiten unter Aus-
schluß der dabei interessierten kleinen Mächte zu regeln. Die europäischen Großmächte haben
dem mehrfach zuwidergehandelt. Ein Versuch wurde 1883 von Rumänien zurückgewiesen.
Auf der zweiten Haager Friedenskonferenz erstrebten sie einen Vorrang bei der Besetzung des
internationalen Prisengerichtshofs. Großmächte sind die jeweilig durch ihren tatsächlichen
Einfluß — nicht etwa durch erhöhte Rechts- oder Handlungsfähigkeit — ausgezeichneten Staaten,
in Europa zurzeit: das Deutsche Reich, Osterreich-Ungarm, Frankreich, Großbritannien, Jaalien
und Rußland.
Tc) Ungleichheiten bestehen nur zu Recht, wenn und soweit sie vereinbart wurden, nur
mit dem Einverständnis des benachteiligten Staats. Ebenso verhält es sich mit völkerrecht-
Huber: Die Gleichheit der Staaten (Rechtswissenschaftliche Beiträge, risticche Festgabe
des Auslands zu Kohlers 60. Geburtstag), Stuttgart 1909; Rev. 31 273 ff., 5 ff.