Völlerrecht. 617
erst auf Grund eines Ausführungsvertrags der Uferstaaten. Zum Abschluß solcher Verträge
nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze haben sich die Kongreßmächte aber wechselseitig
verpflichtet. Das neue internationale Flußschiffahrtsrecht wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts
noch auf folgende Ströme zur Anwendung gebracht: Elbe, Weser, Oder, Weichsel, Niemen,
Po, Pruth, Donau, Amazonenstrom, Rio de la Plata, Kongo und Niger.
Auf diesen Strömen ist die Handelsschiffahrt von dem Punkte an, an dem die Schiffbar-
keit beginnt, bis ins Meer hinein und umgekehrt für jedermann frei. Die Küstenschiffahrt
(Kabotage, d. h. Beförderung der Güter von einem zum anderen Hafen des nämlichen Staats)
ist nicht unbedingt frei. Zur Schiffahrt gehört die notwendige Benutzung des Ufers, insbesondere
des Leinpfads, und das Anlegen. Die Abgaben sollen keine Einnahmequelle für die Staaten
bilden, sondern nur die Unterhaltungskosten decken; sie sind für alle Flaggen gleich; in der
Regel werden sie von den Uferstaaten gemeinschaftlich festgestellt, können dann nicht einseitig
erhöht werden (Rhein und Elbe?). Durchgangszölle werden nicht erhoben. Stapel- und Um-
schlagsrechte sind abgeschafft. Nur insoweit ist die Gebietshoheit der Uferstaaten zugunsten
der allgemeinen Freiheit eingeschränkt. Die fremden Staaten haben keine Dienstbarkeit er-
worben: die Schiffe unterstehen der Staatsgewalt des Uferstaats. Im Interesse der Erhaltung
und einheitlichen Regulierung des Stromlaufs haben sich die Uferstaaten vielfach wechselseitig
zu obligatorischen Leistungen verpflichtet, auch Kommissionen zur Fassung gemeinsamer Be-
schlüsse und zur Überwachung der Ausführung eingesetzt. Internationale, nicht auf die Ufer-
staaten beschränkte Kommissionen sind für Donau und Kongo vorgesehen, aber nur für erstere
ins Leben getreten. — Auf dem Duero, Tajo, St. Lorenz und Rio Grande del Norte steht die
Schiffahrt nur den Angehörigen der Uferstaaten frei.
Der 1792 aufgestellte Grundsatz ist über die Schiffahrt hinaus auf sonstige Wassermutzung,
insbesondere zur Gewinnung von Kraft, sinngemäß zu erstrecken; „wo eine zweckmäßige Aus-
nutzung des Wassers nur durch Beanspruchung mehrerer Gebiete erzielt werden kann, muß
das Zusammenwirken der beteiligten Staaten auch hierzu gesichert werden“ (Huber).
II. Die Kanäle. Die künstlichen Verbindungsstraßen zwischen zwei Weltmeeren
unterstehen der Gebietshoheit des Staats, in dessen Gebiet sie erbaut sind. Er kann ihre Be-
nutzung ausschließlich regeln (Nord-Ostseekanal). Aus der Eröffnung einer neuen Wasserstraße
erwachsen ihm keine Pflichten gegen fremde Staaten; niemand ist gehalten, diese Wasserstraße
zu benutzen. Andere Gesichtspunkte verdienen Berücksichtigung, wenn der Kanal wesentlich
mit fremdem Gelde erbaut ist. Die Kapital- und Zinsforderungen der Gläubiger können als-
dann durch eine engherzige Verkehrspolitik wie auch durch Kriegsereignisse erheblich gefährdet
werden. Bald nach Erbauung des Suezkanals machte sich deshalb das Bedürfnis nach einer
besonderen, dem Belieben des Uferstaats entrückten Ordnung geltend. Sie wurde geschaffen
durch den zu Konstantinopel am 29. Oktober 1888 unterzeichneten Vertrag (Fleischmann 220).
Der Kanal steht den Kriegs= und Handelsschiffen aller Staaten nicht nur in Friedens-, sondern
auch in Kriegszeiten offen. Es darf in ihm kein Kriegsrecht ausgeübt, keine Beschädigung vor-
genommen, keine Blockade über ihn verhängt werden. Der Kanal und seine Zugangshäfen
dürfen nicht zum Stützpunkt für militärische Operationen dienen, es seien denn solche von seiten
des Sultans oder des Khedive zur Verteidigung Agyptens oder zur Aufrechthaltung der öffent-
lichen Ordnung erforderlich.
Das Suezkanalabkommen diente in mehrfacher Hinsicht als Vorbild bei der Auseinander-
setzung zwischen England und der Nordamerikanischen Union über den von letzterer zu erbauenden
Panamakanal. Nach dem Vertrage vom 18. November 1901 (Fleischmann 321; dazu Vertrag
mit Panama vom 18. November 1903, ebenda 322; europäische Mächte sind bisher nicht bei-
getreten) soll der Kanal neutral sein, den Kriegs-- und Handelsschiffen aller Staaten unter völlig
gleichen Bedingungen — ohne Bevorzugung der amerikanischen Schiffahrt! (Z3 VöllR. 6, 407.
offen stehen; Kriegsrecht darf daselbst nicht ausgeübt werden. Den Vereinigten Staaten steht
der Erlaß von Reglements sowie die Aufsicht über den Kanal einschließlich militärischer Polizei
zu. Neuerdings haben sie den Kanal befestigt.
III. Küsten= und Eigengewässer. Die Dvurchfahrt durch fremde Küsten-
gewässer steht den Handelsschiffen aller Staaten, den Kriegsschiffen nur insoweit frei, als die