Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

528 Paul Heilborn. 
3. Der Strafanspruch des ersuchenden Staats darf nicht erloschen sein. Dies ist der Fall, 
wenn nach dem Recht eines der beiden Staaten Verjährung eingetreten ist; vom Standpunkt 
des ersuchten Staats aus ferner dann, wenn die Tat von ihm selbst oder von einem dritten Staat 
abgeurteilt und auf Freisprechung erkannt oder die Strafe verbüßt bzw. erlassen ist. 
4. Das Verbrechen darf nicht im Gebiet des ersuchten Staats begangen sein. Er straft 
es selbst. 
5. Die beschuldigte Person muß auslieferbar sein. Angehörige des ersuchenden Staats 
und Heimatlose sind es regelmäßig (vgl. V). Im übrigen sind zu unterscheiden: 
a) Angehörige des ersuchten Staats. England und die Vereinigten Staaten von Amerika 
lehnen die Auslieferung nicht grundsätzlich ab, weil sie regelmäßig nur die im Inland begangenen 
Verbrechen strafen. Die anderen Staaten verweigern diese Auslieferung,: sie schützen ihre Unter- 
tanen gegen fremde Staaten, strafen sie aber selbst wegen der im Ausland begangenen Verbrechen; 
b) Angehörige dritter Staaten. Ihre Auslieferung wurde nur in wenigen Verträgen 
an die Zustimmung des Heimatstaats gebunden. Häufiger ist dessen Benachrichtigung vor- 
geschrieben, um ihm die rechtzeitige Erhebung von Widerspruch zu ermöglichen. 
6. Die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat darf kein politisches Verbrechen sein. Der 
Grund hierfür liegt (vugl. v. Martitz) in der Verschiedenheit der politischen Einrichtungen und 
in der Möglichkeit ihres Wechsels. Der unbeteiligte Staat sieht das Verbrechen mit anderen 
Augen an als der angegriffene. Der Verbrecher hat vielleicht für Einrichtungen gekämpft, die 
dem Zufluchtsstaat als besonders heilig gelten, die im angegriffenen Staat durch rechtlose Ge- 
walt beseitigt sind oder über Nacht eingeführt werden können. Das politische Verbrechen mag 
sich „lediglich als Kampfmittel im Dienst des Rechts gegen Gewalt und Unterdrückung dar- 
stellen". „Die formell rechtmäßige Verfolgung des Flüchtigen kann einer materiellen Un- 
gerechtigkeit Vorschub leisten.“ Im Sinne des Auslieferungsrechts sind politische Verbrechen: 
a) die rein politischen Verbrechen. Sie richten sich „gegen die politische Gesamtorgani- 
sation des Volks“: gegen Existenz und Unabhängigkeit des Staats, die Verfassung, das Staats- 
haupt und seine Familie, gegen gesetzgebende Körperschaften; 
b) die mit politischen zusammenhängenden (konnexen) Verbrechen: gemeine Verbrechen, 
„welche zu dem Endzweck verübt worden sind, ein anderweitig begangenes politisches Delikt 
vorzubereiten oder zu vollenden, seine Vollendung zu erleichtern, ihm den Erfolg zu sichern, 
seine Straflosigkeit zu vermitteln.“ Den Hauptfall bilden die in einem Bürgerkrieg begangenen 
Verbrechen; 
J) die gemischten Verbrechen; sie „tasten neben der politischen auch die private Rechts- 
sphäre an": Königsmord. Anfänglich von den rein politischen Verbrechen nicht geschieden, 
wurden sie aus Anlaß eines mißlungenen Attentats auf Napoleon III. (Fall Jacquin 1854) 
zum Teil besonderer Behandlung unterworfen. Das belgische Gesetz vom 22. März 1856 stellte 
folgenden Grundsatz auf: Ne sera pas réputé délit politique, ni fait connexe à un semblable 
délit, T’attentat contre la personne du chef d’'’un gouvernement étranger ou contre celle des 
membres de sa famille, lorsque cet attentat constitue le fait soit de meurtre soit d’'assassinat, 
soit dempoisonnement. Diese belgische Attentatsklausel ist dem Sinne nach in die überwiegende 
Mehrheit aller Auslieferungsverträge ausgenommen worden. Insoweit zählen verbrecherische 
Anschläge gegen das Leben der Staatshäupter und Prinzen nicht mehr zu den politischen Ver- 
brechen, wohl aber alle anderen gemischten Delikte. Nicht angenommen ist die belgische Attentats- 
klausel von Großbritannien, Italien und der Schweiz. Vgl. jedoch § 10 des eidgenössischen 
Auslieferungsgesetzes vom 22. Januar 1892. 
7. Das Auslieferungsbegehren muß darauf gestützt werden, daß der Beschuldigte der 
ihm zur Last gelegten Tat überführt oder doch verdächtig ist. Der Beweis hierfür wird durch 
Vorlegung des verurteilenden Erkenntnisses geführt, wenn ein solches bereits ergangen ist. 
Andernfalls muß der Verdacht durch einen Haftbefehl oder durch den Beschluß über Ver- 
setzung des Beschuldigten in Anklagestand bescheinigt werden. 
IV. Das Verfahren. Das Auslieferungsbegehren wird auf diplomatischem Wege gestellt, 
d. h. durch den Gesandten des ersuchenden Staats beim Minister der auswärtigen Angelegen-
	        
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