Völkerrecht. 529
heiten des ersuchten Staats. Zugleich wird die vorläufige Festnahme des Beschuldigten be-
antragt. Der ersuchte Staat prüft: 1. die Identität der bezeichneten mit der beschuldigten
Person, 2. ob die Bedingungen der Auslieferung erfüllt sind. In England und in den Ver-
einigten Staaten von Amerika werden auch die materiellen Beweise für die Schuld oder den
Verdacht geprüft. Stets wird dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben, die Unzulässigkeit
der Auslieferung darzutun. Der Auszuliefernde wird an die Grenze gebracht und dort den
Behörden des ersuchenden Staats übergeben. Der Transport durch das Gebiet eines dritten
Staats — die Durchlieferung — kann nur mit dessen Zustimmung erfolgen.
V. Die Rechtsfolge der Auslieferung. Die Auslieferung ist ein Zwangsakt und erfolgt
ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Ausgelieferten. Der Verfolgte wird dem ersuchenden
Staat zugeführt, um wegen einer bestimmten Beschuldigung abgeurteilt zu werden, bzw. behufs
Vollstreckung einer bestimmten, bereits erkannten Strafe. Der ersuchte Staat will ihn aber
nicht auf Gnade oder Ungnade in die Hände des ersuchenden Staats geben, sondern Rechts-
hilfe leisten. Deshalb darf der ersuchende Staat den Ausgelieferten nur wegen derjenigen Tat
verfolgen bzw. nur diejenige Strafe an ihm vollstrecken, wegen welcher die Auslieferung be-
willigt wurde. Dieser Grundsatz der Spezialität der Auslieferung erleidet zwei Ausnahmen:
1. wenn der ersuchte Staat nachträglich die Verfolgung wegen anderer Verbrechen oder
die Vollstreckung anderer Strafen genehmigt;
2. wenn der Ausgelieferte in die weitere Verfolgung oder Vollstreckung einwilligt, ent-
weder ausdrücklich oder dadurch, daß er freiwillig im Lande verbleibt oder in dasselbe zurück-
kehrt, nachdem er es verlassen hatte.
Nur unter einer dieser beiden Voraussetzungen ist auch die weitere Auslieferung an einen
dritten Staat zulässig.
II. Besondere Rechtsverhältnisse.
1. Das Beamtenrecht.
§ 29. a) Einleitung.
Literatur. Harburger: Der strafrechtliche Begriff Inland, Nördlingen 1882; v. Bar:
Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Hannover 1889, 2 621 ff.; v. Heyking:
Liexterritorialité, Berlin 1889; Strisower: Exterritorialität, im Osterreichischen Staatswörter-
buch 1894; Féraud-Giraud: Etats, souverains, personnel diplomatique et consulaire devant
les tribunaux ötrangers, Paris 1895; Beling: Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität,
Breslau 1896; Hübler: Die Magistraturen des völkerrechtlichen Verkehrs (Gesandtschafts= und
Konsularrecht) und die Exterritorialität, Berlin 1900; Loening: Die Gerichtsbarkeit über fremde
Staaten und Souveräne, Halle a. S. 1903; B8 Bölk R. 6 201.
Im Ausland ist der Fremde in erster Linie der Staatsgewalt und der Rechtsordnung des
Aufenthaltstaats unterworfen (§ 27). Diese allgemeine Regel ist nicht unbedingt anwendbar
auf Staatsbeamte, welche Staatsgeschäfte im Gebiet eines anderen Staats zu besorgen haben.
Der Verkehr der Staaten bringt es notwendig mit sich, daß die Beamten des einen das Gebiet
des andern in amtlicher Eigenschaft betreten. Soll der Verkehr nicht völlig unterbunden werden,
so muß man ihnen die Erfüllung ihrer Aufgabe ermöglichen. Der Beamte hat die Rechte und
Interessen seines Staats dem fremden Staat gegenüber wahrzunehmen; er muß diesem in
Streitfällen entgegentreten. Das kann er nur tun, wenn er für sich und seine Angehörigen
nichts zu fürchten hat; eine Verschuldung seines Heimatstaats darf an ihm und den Seinigen
nicht geahndet werden. Eine Aktion gegen ihn als Privatperson soll aber auch die Repräsentation
des Heimatstaats nicht verhindern. Der Grundsatz: ne impechatur legatio sichert dem Staats-
beamten einen besonderen Schutz wie auch die Freiheit zur Erfüllung seiner Mission. Er findet
nicht nur auf fremde Staatsbeamte im technischen Sinne, sondern auch auf fremde Staats-
häupter Anwendung. Kraft dieses Grundsatzes genießen beide Klassen im Ausland die Vor-
rechte der Unverletzlichkeit und der Exterritorialität.
1. Die Unverletzlichkeit schützt gegen verbrecherisches Handeln und gegen alle Angriffe
des Empfangstaats auf die Person des Unverletzlichen (§ 34 1). Gegen verbrecherische Angriffe
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V. 34