Contents: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Völkerrecht. 549 
Delikt sein wie eine Verletzung der Gebietshoheit oder der Untertanen (§ 16). Eine erschöpfende 
Aufzählung aller völkerrechtlichen Delikte ist deshalb unmöglich. Subjekt des Delikts kann nur 
ein Staat sein. Angriffe von Privatpersonen gegen fremde Staaten werden zwar in manchen 
Gesetzgebungen Delikte gegen das Völkerrecht genannt, sind aber nicht nach Völkerrecht, sonderm 
nach Strafrecht zu beurteilen und zu ahnden. Obiekt des völkerrechtlichen Delikts ist auch nur 
ein Staat. Die ihm zugefügte Verletzung ist rechtswidrig, es habe denn der Beschädigende 
mit seiner Einwilligung, in Ausübung eines besonderen Rechts oder in erlaubter Selbst- 
hilfe (Notwehr, Repressalie, Krieg) gehandelt. 
II. Das völkerrechtliche Delikt kann durch Begehung wie durch Unterlassung verübt werden. 
1. Von Begehung spricht man, wenn durch eine Staatshandlung in die Rechtssphäre 
eines fremden Staats widerrechtlich eingegriffen wird. Als Staatshandlungen kommen nicht 
nur die im auswärtigen Staatsverkehr vom Staatsorgan und dessen Vertreterm vorgenommenen, 
sondern alle Amtshandlungen (nicht Privathandlungen) von Staatsbeamten in Betracht: 
widerrechtliche Einsperrung eines Fremden durch einen Polizeibeamten. Unerheblich ist es, 
ob der einzelne Beamte innerhalb seiner staatsrechtlichen Kompetenz bzw. in Übereinstimmung 
mit dem ihm erteilten Auftrag gehandelt hat oder nicht. Die Uberschreitung der Kompetenz 
macht die Handlung noch nicht zur privaten 1. Es ist gleichgültig, ob im eigenen oder im 
fremden Staatsgebiet oder auf staatenlosem Gebiet gehandelt wurde. 
2. Ein Unterlassungsdelikt begeht der Staat, wenn er die Verletzung eines fremden Staats 
in dessen Person, Gütern oder Rechten nicht hindert, obwohl er sie hindern muß und kann, oder 
wenn er die nach solchen Angriffen ihm obliegende und mögliche strafrechtliche Verfolgung des 
Schuldigen nicht bewirkt. Der Staat hat dafür zu sorgen, daß Verletzungen fremder Staaten 
in seinem Gebiet und von diesem aus unterbleiben. Dem Gebiet stehen gleich die National- 
schiffe (§§ 42/43) und diejenigen Länder, von denen die diesseitige Staatsgewalt fremde Staats- 
gewalten zeitweise oder dauernd ausschließt. Die vom Staat zum Schutz fremder Untertanen 
zu entfaltende Tätigkeit wurde im § 25 geschildert. Analog hat der Staat zum Schutz fremder 
Staaten überhaupt zu verfahren. Unterläßt ein Staatsbeamter die Vornahme einer hiernach 
gebotenen Amtshandlung, so fällt dies wiederum dem Staat selbst zur Last: ein verhafteter 
Ausländer wird nicht in Freiheit gesetzt, sobald die Gründe der Verhaftung weggefallen sind. 
III. Die Verletzung ist eine schuldhafte, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig zugefügt wurde, 
die Schuld des Beamten ist die Schuld des Staats selbst, denn wie staatlicher Wille, so kann auch 
staatliche Schuld nur im Menschen in die Erscheinung treten. Die Unterlassungen werden in 
der Regel fahrlässig begangen. Von besonderer Bedeutung ist die Unterlassung von Vorbeugungs- 
maßregeln zum Schutz fremder Staaten. Hierher gehört meist der mangelhafte Stand der 
Gesetzgebung; infolgedessen genießen fremde Staaten und ihre Angehörigen nicht die Rechte, 
auf die sie Anspruch haben; die Rechtsverfolgung ist ihnen unmöglich gemacht. Mit Berufung 
auf sein Landesrecht kann der Staat die Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten nicht ablehnen. 
Er hätte es mit ihnen in Einklang bringen müssen; dies hat er schuldhafterweise versäumt. Oder 
er hätte die völkerrechtliche Pflicht nicht auf sich nehmen sollen. Ein weiterer Fall ist die Unter- 
lassung tatsächlicher Vorbeugungsmaßregeln zur Abwehr drohender Gefahren; es wird ein 
Einfall in fremdes Staatsgebiet geplant (Flibustierepedition), das Volk wird zu Gewalttaten 
gegen fremde Staatsangehörige aufgereizt, so in Neuorleans 1891 und in Aigues--Mortes 1893 
gegen die Italiener. Hier darf der Staat nicht die Augen schließen und, wenn das Unglück ge- 
schehen ist, die Verletzten auf den tatsächlich meist aussichtslosen Rechtsweg verweisen. Er hat 
vielmehr die Pflicht, mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters rechtzeitig einzugreifen, nötigen- 
falls durch Truppenaufgebot, um die Gewalttat abzuwenden. Unterläßt er es vorsätzlich oder 
fahrlässig, so haftet er für den eingetretenen Schaden. Auch die Schlaffheit gegenüber Räuber- 
banden kann eine schuldhafte sein, so daß die Ermordung und Beraubung von Ausländemn auf 
den Staat zurückfällt (Marokko). — Eine Schuld liegt dagegen nicht vor: 
1. wenn eine Behörde eine ihr unterbreitete Rechtsfrage in gutem Glauben unrichtig 
entschieden hat. Hier handelt es sich nicht um mangelhafte Gesetzgebung, sondern um irrige 
1 Jellinek: System (2) 241 ff.; Walter Jellinek: Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wir- 
kungen, Tübingen 1908. 
 
	        
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