Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

556 Paul Heilborn. 
Die Intewention ist Verletzung fremder Unabhängigkeit und deshalb verboten. Aus- 
nahmen greifen nach allgemeinen Regeln Platz, wenn ein Staat ein Recht zum Einschreiten 
erworben hat, so vielfach die Oberstaaten den Unterstaaten gegenüber. Teils auf Vertrag, teils 
auf Gewohnheitsrecht ist das Recht der europäischen Großmächte gegründet, zugunsten der christ- 
lichen Untertanen der Hohen Pforte in die inneren Angelegenheiten der Türkei sich ein- 
zumischen. (Rolin--Jaequemyns, Rev. 1876. — Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 Art. 61, 
Fleischmann 148). Erst wenn kein derartiges Recht, anderseits auch kein Krieg in Frage 
steht, taucht das eigentliche Interwentionsproblem auf. 
II. Zulässigkeit. Die Staatspraxis weist eine ungeheure Zahl von Intewentionen 
auf. Unter Berufung auf den Grundsatz der Nichtintervention hat man sie oft samt und sonders 
für unzulässig erklärt. Damit hat man sich aber vom Boden des geltenden Völkerrechts entfermt. 
Die Staaten haben auf die Interwention als Mittel der Selbsthilfe nicht verzichtet, weil „das 
formal durchaus berechtigte Verhalten“ eines Staats innerhalb „seiner völkerrechtlich anerkannten 
Freiheitsphäre“ eine „praktisch gefährdende oder schädigende Wirkung auf die Interessen“ eines 
anderen zu äußern vermag (Ullmann). So kann ein rechtmäßiger Gebietszuwachs dem ver- 
größerten Staat eine Übermacht verschaffen, durch welche andere Staaten aufs emnstlichste be- 
droht werden. (Eingreifen Englands und der Niederlande in den spanischen Erbfolgekrieg, 
Bestrebungen zur Erhaltung des Gleichgewichts.) Gegen derartige Bedrohungen und Schädi- 
gungen gewährt das Völkerrecht in der Intervention ein Hilfsmittel. Dasselbe ist unentbehrlich, 
weil das Völkerrecht den Staat nicht schlechthin, insbesondere nicht gegen Krieg, schützt. Voraus- 
setzung der Intewention ist demnach ein den Intewenienten bedrohendes oder schädigendes, 
aber an sich erlaubtes Verhalten des oder der Staaten, gegen welche die Intewention sich richtet. 
Rechtswidrigkeiten werden nicht mit einer Intewention, sondern mit Erhebung des Anspruchs 
auf Schadensersatz und Genugtuung beantwortet; zur Leistung dessen ist der Schuldige ver- 
pflichtet. Da aber dem Staat, gegen welchen die Intewention sich richtet, keine Rechtswidrig- 
keit zur Last fällt, so ist er auch nicht gehalten, dem Interventionsbegehren Folge zu geben. Nur 
im Notstand, d. h. zum Schutz wesentlicher Interessen ist die Interention statthaft; ihr Zweck 
ist die Beseitigung der Gefahr oder des Schadens. Unzulässig sind Intewentionen zum Zwecke 
des Gewinns (Intewention Napoleons III. in die mexikanischen Wirren). Das Bestehen 
einer bestimmten Regierungsform in einem Staat ist nicht als Bedrohung eines anderen Staats 
zu erachten, solange keine „aggressive Propaganda“ zum Zwecke ihrer Einführung in andere 
Staaten getrieben wird (Ullmann). Die Intewentionen der Heiligen Allianz waren deshalb 
unzulässig. Durch Bürgerkriege können Interwentionen anderer Staaten hervorgerufen werden, 
wenn deren Untertanen Schaden erleiden: die durch den Aufruhr angegriffene Staats- 
gewalt kann hierfür meist nicht verantwortlich gemacht werden (58 51 III) und ist mitunter 
nicht imstande, die Ordnung wiederherzustellen. (Vertrag zwischen Frankreich, England und 
Rußland „pour la pacification de la Grsce“ vom 6. Juli 1827, Fleischmann 32). 
III. Die Monroedoktrin ist enthalten in der Botschaft, mit welcher Präsident 
Monroe der Intewentionspolitik der Heiligen Allianz entgegentrat (5 4 IV). In ihr wider- 
setzte er sich der Intervention europäischer Mächte in amerikanische Angelegenheiten sowie dem 
Erwerb neuer Länder seitens europäischer Staaten auf dem amerikanischen Kontinente. In 
letzterem Anspruch lag eine unzulässige Intervention, da ein jeder Gebietserwerb nicht ohne 
weiteres als Bedrohung der Vereinigten Staaten angesehen werden konnte. Unter ständiger 
Berufung auf die Monrvedoktrin haben die Vereinigten Staaten seitdem sich oft in die Regelung 
der Angelegenheiten europäischer und anderer amerikanischer Staaten eingemischt, mit der 
größten Entschiedenheit in den britisch-venezolanischen Grenzstreit 1895/96. 
IV. Interventionsmittel. Das Intewentionsbegehren wird auf diplomatischem 
Wege gestellt. Als Zwangsmittel dienen: die Besetzung fremden Staatsgebiets und die 
Friedensblockade (§ 56.) Wird aus Anlaß der Intewention gegen fremde Aufrührer Waffengewalt 
angewendet, so ist dies kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne: Einschreiten der europäischen 
Mächte gegen die chinesischen Boxer 1900.
	        
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