Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 87 
Gefangenen. Die Orte aber, in denen man nun wenigstens die Insassen unschädlich zu machen 
gedachte, wurden, wie sie der preußische Justizminister von Arnim am Ende des 18. Jahr- 
hunderts treffend genannt hat, zu wahren „Verführungspepinieren“ und zu den gefährlichsten 
Herden von ansteckenden Krankheiten, wie typhösem Kerkerfieber, Kachexie, Schwindsucht und 
Skorbut. Nicht nur starben alljährlich Scharen von Gefangenen selbst, sie trugen vielmehr die 
Krankheiten auch unter die freie Bevölkerung. Seit der berüchtigten „Black Assize“, bei der 
durch die aus dem Gefängnis vorgeführten Gefangenen bei den Assisen in Oxford eine Epidemie 
eingeschleppt wurde, der der Lord Chief Baron, der Sheriff und 300 andere Personen inner- 
halb eines Tages erlagen, wiederholte sich der Vorgang von Zeit zu Zeit. Noch 1750 starben. 
auf diese Weise in London der Lord Mayor, zwei Richter, ein Alderman und eine Reihe anderer 
Leute. 
Zwischen abgeurteilten Strafgefangenen, bloßen Untersuchungs- und Schuldgefangenen 
wurde kein Unterschied gemacht. Mit alten Verbrechern saßen Jugendliche, aber auch Bettler, 
Vagabunden, Waisenkinder in demselben Hause wahllos zusammen (sehr anschaulich P. Lenel, 
Badens Rechtsverwaltung 1913, S. 234). Zu ihnen kamen Geistesgestörte, die zur Erheiterung 
der übrigen und der etwaigen Besucher der Anstalt dienten: „Das Gefängnis ist in dieser Zeit“, 
so sagt Krohne, „Kloake, Verbrecherschule, Bordell, Spielhölle und Schnapskneipe, nur 
nicht eine Anstalt im Dienste des Strafrechts zur Bekämpfung des Verbrechens.“ 
4) John Howard und die Amerikaner 1. 
1. In diesem Stande der Dinge setzt auf der Grundlage der Aufklärung eine zweite 
Resormperiode ein. Ihr Träger ist John Howard, den vor allem seine Untersuchungen 
über den „Zustand der Gefängnisse in England und Wales mit einleitenden Bemerkungen und 
einem Bericht über einige fremde Gefängnisse“, 1777 erschienen, unsterblich gemacht haben. 
1726 als Sohn eines vermögenden Krämers in London geboren, streng puritanisch erzogen, 
ohne gelehrte Bildung, — so daß seine Schriften sprachlich vielfach nicht einwandsfrei sind, — sieht 
er seine Lebensaufgabe von Anfang an darin, Menschenelend zu lindern. Als er nach dem 
Lissabonner Erdbeben von England nach Portugal fährt, um zu helfen, wird sein Schiff von 
Franzosen gekapert. Solernteer als Kriegsgefangener — das ist für sein späteres Wirken 
entscheidend gewesen —ameignen Leibedie Qualen damaliger Gefangen- 
schaft kennen. Sgheriff seines Grasschaftsgerichtes geworden, durchwandert er ein Jahr 
lang Englands Gefängnisse. Darauf wird er 1774 vor das Haus der Gemeinen geladen, wo 
er, schlicht und jeder Sentimentalität bar, über das von ihm Gesehene berichtet und darauf, wie 
er selbst es ausdrückt, „die Ehre ihres Dankes“ hat: Die Gefängnisreform steht damit in England 
auf der Tagesordnung. Lange weitere Jahre (1775 ff.) durchzieht er wiederholt die Gefängnisse 
des Kontinents und Englands, bevor er seinen „State of Prisons“ veröffentlicht, der der ganzen 
damaligen Kulturwelt das Gewissen geweckt hat. Wieder und wieder durchreist er die Anstalten. 
des In- und Auslandes, bis er im russischen Cherson 1790, sei es durch Überanstrengung, sei es 
durch Ansteckung, einem Fieber erlag. „Setzt auf mein Grab eine Sonnenuhr, nichts weiter, 
und vergeßt mich“s, soll seine letzte Bitte gewesen sein. Sie ist nicht ganz in Erfüllung gegangen. 
In welchem Stande körperlichen und geistigen Elends Howard die Gefangenen seiner 
Zeit fand, ist oben geschildert. Nur in Holland hatte sich noch in seiner Zeit der vorbild- 
liche Strafvollzug der Raspel- und Spinnhäuser erhalten, dessen Grundzug er mit dem — von 
ihm mitgeteilten, nicht, wie man behauptet hat, geschaffenen — Spruche kennzeichnet: „Machet 
sie fleißig und sie werden ehrlich sein.“ Er schildert diese Gefängnisse als „so 
mhig und die meisten von ihnen so rein, daß ein Besucher kaum glauben kann, sich in einem 
Gefängnisse zu befinden“. Auch über Strafkürzung bei Wohlverhalten, ja selbst über Unterbringung 
der Kinder von Hingerichteten oder von langzeitigen Gefangenen in Waisenhäusern berichtet er. 
Von starkem Einfluß auf ihn war ferner das nach holländischem Vorgang auf Betreiben des 
Vicomte Villain XIV. und auf Grund seiner Pläne erbaute Maison de lorce in Gent, mit 
–— 
1 Siehe hierzu Krohne, S. 32 ff. und F. H. Wines, Punishment and Reformation 
1895, S. 122 ff.
	        
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