Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 91 
verwirklichte er in Moabit das pennsylvanische System der Einzelhaft, deren Zweck er in Ver- 
hütung der Verschlechterung, wie sie aus Gemeinschaftshaft folge, nicht freilich in der ihm un- 
erreichbar scheinenden Besserung sah. Die von ihm beabsichtigte Durchfübrung der Einzel- 
haft in ganz Preußen ist ihm nicht gelungen. 
Sie inzwischen verwirklicht zu haben, ist das grundlegende Verdienst Karl Krohnes, 
der das Gefängniswesen im preußischen Ministerium des Innern von 1892—1913 verwaltet hat. 
Wenn er zum Ruhme Wicherns gesagt hat, mit diesem sei „in die Gefängnisverwaltung 
Geist gekommen“, so hat die Ara Krohne des Geistes viel hinzugefügt; und sie hat ihn, was noch 
mehr ist, bei Aufrechterhaltung der erforderlichen Manneszucht, bei peinlicher Durchführung 
von Ordnung und Sauberkeit in den Anstalten, mit menschlichem Verständnisse für das Los der 
Gefangenen zu verbinden gewußt. In seiner Zeit ist eine so große Zahl von Zellbauten ent- 
standen, daß einer der offiziellen Berichte des Ministeriums des Innern mit berechtigtem 
Stolz sagen konnte, es sei die Zahl der verfügbaren Einzelzellen nunmehr ausreichend und 
ein weiterer Zellenbau vorderhand nicht nötig. 
Der Strafvollzug des preußischen Justizministeriums hat gleichfalls wesent- 
lichen Ausbau erfahren; seine Fortschritte sind um so höher einzuschätzen, als sie durch die 
große Zahl von kleinen Gefängnissen und von kurzzeitigen, also rasch wechselnden Gefangenen 
erschwert worden sind. 
Noch vor der Vollendung von Moabit war unter dem Einflusse L. von Jagemanns, 
der auch wieder in Amerika seine Anregungen empfangen hatte, eine badische Zell- 
strafanstalt in Bruchsal 1848 errichtet worden. Sie hat lange die Bewunderung der Be- 
sucher aus aller Herren Ländern gefunden, die sie der Einzelhaft gewann, und hat den Anstoß 
zu deren Durchführung in Baden selbst gegeben. Auch in Württemberg und im Groß- 
herzogtum Hessen ging man daran, die Einzelhaft zum Strafvollzugssystem zu machen. 
Dagegen hielt man sich in Bayern ihr gegenüber zurück. Das Königreich Sachsen schuf 
ein englischem Vorbild angelehntes System der Klassifikation mit Elementen eines Progressiv- 
systems; der Einzelhaft fiel dabei die Stelle einer Disziplinarstrafe zu. 
IV. Der jetzige Stand des Strafvollzuges. 
8 4. Deutschland. 
a) Quellen. 
Die Grundlage des im Reiche zurzeit bestehenden Freibeitsstrafenvollzuges bilden die 
Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches in Is 14 ff. Uber die wichtigsten unserer Freiheits- 
strafen, Zuchthaus und Gefängnis, geben im wesentlichen nur drei Paragraphen Auskunft: 
15, der für Zuchthaus obligatorische Anhaltung zu den eingeführten Arbeiten, also 
Arbeitszwang ohne Individualisierung vorschreibt; § 16, der bei Gefängnis fakultative und auf 
Verlangen des Gefangenen obligatorische Anhaltung zu einer seinen Fähigkeiten und Verhält- 
nissen angemessenen Beschäftigung anordnet, und § 22, der Einzelhaft bei Zuchthaus wie Ge- 
fängnis für zulässig erklärt, und zwar bis zu drei Jahren ohne Zustimmung des Gefangenen. 
Dazu kommen noch einige Vorschriften über Außenarbeit, zu der Zuchthausgefangene ohne 
weiteres, Gefängnisinsassen nur mit ihrer Zustimmung herangezogen werden können, über 
vorläufige Entlassung, Jugendliche usw. 
Im übrigen beruht der Freiheitsstrafenvollzug in Deutschland wesentlich nicht auf Reichs- 
gesetz, ja überhaupt nicht auf Gesetzen, sondem auf Verordnungen, die der Zustimmung der 
Volksvertretung nicht bedürfen. Diese Verordnungen wieder sind in Preußen nicht königliche, 
sondern ministerielle. Ja, sie sind hier nicht einmal einheitlich-ministerielle, sondern 
— als eine Folge des uns bereits bekannten Dualismus der Gefängnisverwaltung (oben S. 90) 
— die eine vom Minister des Innemn, die andere vom Minister der Justiz erlassen. 
In Bayern und Baden sind es im Gegensatze zu Preußen nicht ministerielle, sondern 
landesherrliche Verordnungen. Die Gesamtlage aber ist die, daß die deutschen Einzel- 
staaten, voneinander unabhängig, durch bloße Verordnungen, also ohne ihre Volksvertretung,
	        
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