92 Berthold Freudenthal.
über den Inhalt und den Vollzug der Freiheitsstrafe insoweit verfügt haben, wie die dürftigen
Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches, zu denen noch die eine und andere der Strafprozeß=
ordnung tritt, nicht reichen.
Die Folge davon ist, daß die durch das Strafgesetzbuch für das Reich hergestellte Einheit
der Freiheitsstrasen in deren Vollzuge nicht besteht, und doch kommt es auf ihn als auf die
Verwirklichung des vom Richter v##rhängten Rechtseingriffes schließlich an: „Ein zu
Gefängnisstrafe Verurteilter verbüßt unter Umständen eine härtere Strafe als ein Zuchthaus-
gefangener, der von seinem Schicksal in einem Lande mit milderem Regime ereilt wird“ (Ober-
regierungsrat Roßmy).
Das natürliche Bedürfnis nach Vereinheitlichung des Vollzugsrechtes hat zwar zu dem
im Reichsjustizamt ausgearbeiteten und nach Beratung in einer Sachverständigen-Kommission
1879 von der R ichsregierung dem Bundesrate vorgelegten Entwurf eines Reichs-
gesetzes über die Vollstreckung der Freiheitsstrafen geführt. Ihm zu-
folge sollten die Freiheitsstrafen Zuchthaus und Gefängnis mit Einzelhaft beginnen. Er ist
aber schon im Bundesrate gescheitert. Der Grund war nicht ausschließlich, wohl aber in erster
Linie ein finanzieller: Der Aufwand selbst für eine „nur beschränkte Durchführung der Einzel-
haft“ war im ganzen auf 115 Mill. Mark angesetzt worden, von denen auf Bayem allein 33 bis
35, auf Sachsen 11—12 Mill. Mark entfielen. Im Bundesratsausschusse für Justizwesen war
deshalb die obligatorische Einführung der Einzelhaft als erstes Stadium des Vollzuges von
Zuchthaus- und Gefängnisstrafe durch eine Mehrheit gestrichen worden, der unter u. a. die
Regierungen von Bayern, Württemberg, Hessen und Braunschweig angehörten. Auch der
preußische Finanzminister hatte durch Votum vom 4. Febr. 1880, als es sich um die Instruktion
der preußischen Bundesratsbevollmächtigten handelte, Bedenken geäußert, „die Finanzkraft
des Staates auf lange Jahre in außerordentlicher Weise engagiert“ zu sehen, zumal „die An-
sichten der Sachverständigen über das Maß und Ziel der Gefängnisreform erheblich auseinander-
gehen“. Es erscheine bedenklich, „so enorm kostspielige Einrichtungen auf Beschlüsse zu basieren,
deren Prämissen immerhin kontestabel sind“. So ist die Vorlage gar nicht mehr an den Reichstag
gelangt 1.
Es war ein gewisser Ersatz der gesetzlichen Regelung, daß sich 1897 die Bundesregierungen
auf eine Reihe von „Grundsätzen“ einigten, „welche bei dem Vollzuge ge-
richtlich erkannter Freiheitsstrafen bis zu weiterer gemeinsamer
Regelung zur Anwendung kommen“ sollten (Zentralbl. f. d. D. Reich 1897
S. 308 ff.).
Dabei wurde die Vorlage von 1879 in der Fassung des Bundesratsausschusses für
Justizwesen zugrunde gelegt. Ausgeschieden wurden, der amtlichen Begründung zufolge
(Nr. 54 Session von 1896), „alle Bestimmungen, hinsichtlich deren die Zulässigkeit des
Verordnungsweges zweifelhaft“ erschien. Folgerichtig trat man dem von v. Jage-
mann gemachten Vorschlage, sie „inhaltsreicher zu gestalten“, nicht näher, „weil das über
den Rahmen der Verordnung hinausgehe und nur im Wege der Gesetzgebung festgestellt
werden könne" (Aktennotiz d. Min. d. Inn. vom 29. Juni 1896).
Immerhin ist die große Zahl von einzelstaatlichen Verordnungen, die nachher ergingen,
auf diesen „Grundsätzen“ aufgebaut. So in erster Linie die preußischen Verordnungen,
nämlich die Dienstordnung für die dem Ministerium des Innern unter-
stellten Strafanstalten (d. i. Zuchthäuser) und großen Gefängnisse vom
14. Nov. 1902 (2. Aufl. 1906) und die Gefängnisordnung für die Justiz-
verwaltung vom 21. Dez. 1898; sowie die bayerische Hausordnung für die
Strafanstalten vom 20. Sept. 1907.
Insgesamt sind es 59 verschiedene Ordnungen, die in den deutschen Einzelstaaten den
Strafvollzug regeln. Die alte Kleinstaaterei ist also im deutschen Gefängniswesen des
20. Jahrhunderts noch nicht beseitigt.
1 Die Einzelheiten danke ich der durch Güte des Herrn Geheimrat Krohne mir ge-
währten Einsicht in die betreffenden Akten des Ministeriums des Innern. Siehe insbes. Nr. 5
der Drucks. d. Bundesrates für 1879/80 S. 2 ff.