94 Berthold Freudenthal.
wicklung etwas langsamer vor sich geht. Auch die Hansastädte, sowie Mecklenburg und Olden-
burg besitzen Zellgefängnisse.
Den Gefahren der Gemeinschaftshaft, die Krohne einst als Ausbildung im Verbrechen
auf Staatskosten, von Lilienthal! als „ältestes und verwerflichstes“ System gekenn-
zeichnet hat, sucht man durch nächtliche Trennung zu begegnen, und zwar womöglich in Schlaf-
zellen, sonst in Schlafkosen. Das mit der Gemeinschaftshaft verbundenc, ihre Durchführung
ermöglichende Schweigegebot besteht in Preußen noch allgemein. In Baden ist es
während der Mahlzeiten aufgehoben. Daß es für zahlreiche nun einmal zusammenlebende
Menschen unnatürlich, nur durch unaufhörliche Bestrafungen aufrechtzuhalten, und daß es selbst
dann noch eine einzige „offizielle Lüge", weil tatsächlich undurchführbar ist, hat vor Jahrzehnten
schon Wichern und in neuerer Zeit u. a. Krohne unumwunden ausgesprochen.
IV. Eine neue Gefängnisart wird — ein letztes Verdienst Krohnes und eines
seiner größten — in dem Jugendgefängnisse des preußischen Ministeriums des
Innern in Wittlich an der Mosel erprobt 2. Es ist am 1. August 1912 eröffnet
und verwertet, unter selbständiger Anpassung an deutsche Verhältnisse, amerikanisch--
englische Strafvollzugserfahmungen für Gefangene zwischen 18 und 21 Jahren mit einer
Strafzeit von einem Jahre oder mehr. Es baut bei vollster Wahrung des Charakters als Straf-
anstalt seinen progressiven Strafvollzug in drei Stufen auf; nur wer sich in der unteren be-
währt hat, wird in die höhere befördert. Die Aussicht auf deren Vergünstigungen wirkt so
stark, daß Disziplinarstrafen bisher kaum nötig waren. Das Ehrgefühl wird peinlich geschont;
auch fiskalische Gesichtspunkte treten tunlichst zurück: Deer Freiheitsstrafe werden
ihr fremde Elemente von Ehren= wie von Vermögensstrafe im
Vollzuge ferngehalten. Durch Stählung des Körpers, sorgfältigen Schulunter-
richt und Ausbildung in — wenn möglich — mehr als einer gewerblichen Beschäftigung sollen.
die Voraussetzungen für ein bürgerlich einwandsfreies Leben geschaffen werden 2.
e) Bauten und Beamte “.
I. Die technischen Anforderungen an einen Gefängnisneubau nach den derzeitigen Er-
fahrungen hat von Engelbergé dahin zusammengefaßt, daß er „sicher, übersichtlich und
gesund“ sein müsse. Der Bauplatz muß, so führt er aus, frei liegen und für Bewegung der
Gefangenen, wo möglich auch für ihre Beschäftigung mit Garten= und landwirtschaftlichen.
Arbeiten, sowie zur Schaffung von Beamtenwohnhäusern groß genug sein. Der Gefängnis-
bau muß auch bei durchgeführter Einzelhaft neben ausreichend großen und gut lüftbaren
Zellen Gemeinschaftsräume für Gefangene, die die Einzelhaft nicht vertragen, enthalten. Der
einzelne Gemeinschaftssaal darf keine zu große Zahl fassen und muß genügend Luft bieten;
bei Nacht muß überdies jedem Gefangenen eine eigene Schlafzelle zur Verfügung stehen.
Die Wirtschaftsgebäude, wie Küche, Bäckerei usw. werden vom Hauptgebäude getrennt. Das
Gleiche gilt vom Krankenhaus, in dem tuberkulosen und geisteskranken Gefangenen besondere
Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Kirche muß durch ihre Bauart erhebend wirken. Für
Schulen und Bibliotheken sind genügend umfassende Räume vorzusehen.
Was die Arbeiten für den Neubau wie den Umbau von Anstalten betrifft, so führt man
sie in Preußen in wachsendem Maße durch die Gefangenen selbst aus. Die Folge davon ist
eine sehr erhebliche Kostenersparmis.
Die Bauten werden vom Ministerium des Innem grundsätzlich für nicht über 550 Männer
oder 300 Frauen eingerichtet; das der Justiz unterscheidet nach der Größe vier Guppen von
Anstalten.
: v. Lilienthal, Grundriß z. Vorl. über d. Strafrecht, 3. Aufl., 1908 S. 49.
: Dieser Versuch geht auf meine Denkschrift für den Min. des Inn. betr. die Errich-
ung, gines Jugendgefängnisses zurück (abgedruckt in Aschaff. Monatsschr. f. Krim. Psych. 9,
* Näheres DJZ 18, 134 ff. und Janisch im Alch. f. Rechts= u. Wirtsch. Philos. Bd. 6
Heft 4, besonders aber neuerdings die Stat. d. Min. d. * f. 1911 S. XXV.
( Siehe Krohne und Uber, Strafanst. u. Gef. in Preußen 1901.
* v. Engelberg, Gerichtssaal 68, 271.