Full text: Preußisches Staatsrecht.

& 6. Die drei Gewalten der preußischen Verfassung. 145 
die Kammern können darüber richten und mit den 
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auf die Zurücknahme 
der nicht verfassungsgemäßen „Rechtsnormierung“ 
dringen. Stimmen sie indessen zu, so erscheint legiti- 
miert, was an sich von vornherein im Wege des Art. 62 
zu regulieren war. Auf Rechtssetzungsakte, bei welchen 
nicht der König beteiligt ist, erstreckt sich die Be- 
schränkung des Prüfungsrechtes der Behörden nach 
Art. 106, Abs. 2 nicht. 
Wie der Art. 62 V. schon mit Rücksicht auf die 
Verfassungsbestimmungen über das Verordnungsrecht 
sich lediglich als ein Ausnahmen wohl vertragendes 
„Prinzip“ darstellt, ist das gleiche auch mit Rücksicht 
auf die Rechtsnatur des „Etatsgesetzes“ bei dem Art. 45, 
S. 1: „Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt 
zu“, anzunehmen. Das rechtfertigt es aber auch, der 
Bestimmung des Art. 86 über die Ausübung der 
richterlichen Gewalt durch unabhängige Gerichte nur 
die Bedeutung eines mit Ausnahmen wohl verträglichen 
„Prinzipes“ beizulegen. Vorkonstitutionelle Rechts- 
normen insbesondere, welche dem König persönlich 
ausnahmsweise Funktionen der Rechtsprechung über- 
trugen, konnten wegen ihrer speziellen Natur das 
„Prinzip“ des Art. 86 an sich nicht beseitigen und be- 
haupteten daher als „der Verfassung nicht zuwider- 
laufend“ (Art. 109) die Fortdauer. So gilt an sich bis 
auf den heutigen Tag das Recht des Königs nach der 
Ordenserweiterungsurkunde vom 18, Januar 1810, einen 
Dekorierten bei einer den Begriffen der Ehre zuwider- 
laufenden Handlung mit der Entziehung der Dekoration 
zu „bestrafen“. Ferner überdauerte auch das durch 
die vorkonstitutionelle Gesetzgebung ($ 8, II 13 A.L.R.) 
begründete königliche Bestätigungsrecht gewisser 
Kriminalurteile das Inkrafttreten der Verfassung. Das 
letzte Konfirmationsreskript eines Todesurteils (ge- 
richtet gegen Hoedel) datiert vom 8. August 1878. Erst 
Hubrich, Preußen. 10
	        
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