364 Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz 8. 30.
Land-Armenverband, in dessen Bezirk er sich beim Eintritte ") der
Hülfsbedürftigkeit befand, oder falls er im hülfsbedürftigen Zustande
1) Beim Eintritt der Hülfsbedürftigkeit, d. h. beim Eintritt des Zeit-
punktes, wo die Hülfsbedürftigkeit im armenrechtlichen Sinne in einer den
Organen der öffentlichen Armenpflege (wenn auch nur einem Organe des Land-
Armenverbandes, W. XXI. 123; XXII. 126, 129; XXVI. 96) erkennbaren Weise
hervorgetreten, wo die öffentliche Unterstützung in Anspruch genommen worden ist,
W. XVIII. 87 ff.; XIX. 108; XXI. 126; XXII. 128, 129; XXIV. 135.
Die Pflicht zur vorläufigen Fürsorge liegt jedoch gemäß §. 28 niemals einem
Land-Armenverbande sondern stets einem Orts-Armenverbande ob, W. XVI. 129.
Der Annahme, daß die Hülfsbedürftigkeit bereits früher im Bezirke eines anderen
Land-Armenverbandes hervorgetreten sei, steht nicht entgegen, daß die dort entstandenen
Armenpflegekosten dem Armenverbande von einer Krankenkafse im vollen Betrage
ersetzt worden sind, W. XXIV. 134.
Es kommt lediglich auf den Aufenthaltsort des unmittelbar Unterstützten an;
es wurde demzufolge der Land-Armenverband S., innerhalb dessen das uneheliche Kind
der N. hülfsbedürftig geworden war, mit seiner Klage gegen den Land-Armenverband G.,
wo die Mutter sich zur Zeit des Eintritts der Hülfsbedürftigkeit ihres Kindes aufhielt,
durch Erk. 31. März 1873 abgewiesen (W. II. 70 und 71). In gleichem Sinne
wurde erkannt unterm 19. Mai und 18. Okt. 1873 (W. III. 79—81), sowie unterm
6. Okt. 1873 (C. Bl. d. D. R. S. 337). # #
Im Falle der Unterstützung von Angehörigen eines Landarmen ist nicht der
Aufenthalt des mittelbar unterstützten Familienhauptes, sondern der Aufenthalt des
direkt unterstützten Familiengliedes beim Eintritt der Hülfsbedürftigkeit nach §. 30
lit. b. für die Bestimmung des fürsorgepflichtigen Land-Armenverbandes maßgebend,
W. V. 89; XXIV. 138; XXVII. 80.
Tritt demnächst auch die Nothwendigkeit der Unterstützung des Familienhauptes
hervor, ohne daß inzwischen die Unterstützung des Familiengliedes hat eingestellt zu
werden brauchen, so ist auch die Unterstützung des Familienhauptes von demjenigen
Land-Armenverbande zu übernehmen, welcher schon bisher ein Mitglied der Familie
und in dessen Person mittelbar das Familienhaupt selbst unterstützt hat, Erk. 12. Mai,
24. Nov. und 9. Juni 1877 (W. IX. 98—101 u. 136), vom 8. Nov. u. 22. Febr.
1879 (W. XI. 92—956) und 26. Febr. 1887 (W. XIX. 115).
Die einer selbständigen Ehefrau (§. 17 des Ges.), bezw. den ihr folgenden Kin-
dern gewährte Unterstützung gilt dagegen nicht als dem Manne gewährt. Die Hülfs-
bedürftigkeit des Mannes bildet einen neuen Pflegefall, XXVI. 31 f.; XXVII. 100.
Abweichend früher XII. 61; XIII. 30; XXI. 32.
Nach §. 30 lit. b. erlischt die Fürsorgepflicht des Land-Armenverbandes, in dessen
Bezirk das Unterstützungsbedürfniß hervorgetreten ist, nicht eher, als mit dem Auf-
hören desselben, Erk. 29. Juni 1874 (W. IV. 57). (In casu waren die landarmen
Eheleute N. auf Kosten des zu ihrer Unterstützung verpflichteten Land-Armenverbandes
des Kreises Pr. Eylau in der Land-Armenanstalt zu Tapiau verpflegt worden. Auf
ihren Antrag von dort am 19. Oktober 1871 entlassen, trieben sie sich umher, indem
sie ihren nothwendigen Lebensunterhalt erwiesenermaßen nur durch Betteln gewannen
und fielen im Juli 1872 zu Langendorf im Bezirke des Land-Armenverbandes des
Kreises Friedland wiederum der öffentlichen Armenpflege anheim. Der Land-Armen-
verband Pr. Eylau wurde zur Tragung der Kosten verurtheilt.) Vergl. W. XIII.
9# ff.; XIX. 110; XX. 119.
Das Bundesamt reformirte durch Erk. 30. März 1874 (W. IV. 55) eine Ent-
scheidung, welche davon ausging, daß die Unterbrechung der Armenpflege zugleich
eine Unterbrechung der Hülfsbedürftigkeit zur Folge gehabt habe und daraus das
Erlöschen der Fürsorgepflicht des Land-Armenverbaudes ableitete. (In casu hatie der
bis zum 13. Jan. auf Kosten des Land-Armenverbandes verpflegte Knabe N. sich vom
13. bis 26. Jan. bettelnd umhergetrieben, ohne die öffentliche Unterstützung in Anspruch
zu nehmen. Es fragte sich, ob diese Unterbrechung der Armenpflege, als er am
26. Jan. der öffentlichen Armenpflege wieder anheim fiel, als Unterbrechung der
Hülfsbedürftigkeit anzusehen sei. Die Frage wurde verneint, da feststand, daß der
Knabe N. während jener Zeit vom 13. bis 26. Jan. vermöge seiner Erwerbsunfähigkeit
ebenso auf öffentliche Unterstützung angewiesen war, wie vorher.) Vergl. W. XVII.
114; XIX. 112; XXI. 133; XXII. 137; XXVII. 72.