Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz §. 31. 359
verpflichtet, wenn die Unterstütung aus anderen Gründen als wegen einer
nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit ) nothwendig:) geworden ist (§. 5 des
Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867, B. G. Bl. S. 55).
Zu Anmerkung 1 auf S. 358.
dasselbe erkannten Zuchthausstrafe noch neun Monate zu verbüßen hatte, an, daß das
Unterstützungsbedürfniß nur ein vorübergehendes sei, Erk. 22. April 1876 (W. VII.
104). In anderen Fällen, wo das Familienhaupt längere Freiheitsstrafen
(2⅛, 3 und 5 Jahre) zu verbüßen hatte, wurde daß Unterstützungsbedürfniß als ein
nicht bloß vorübergehendes anerkannt, Erk. 14. Okt. und 2. Dez. 1876 (W. VIII.
124, 125) und 3. Jan. 1880 (W. Xll. 89); vergl. XVIII. 97; XIX. 126;
ebenso in einem Falle, wo ein Vater sich nicht um seine Kinder kümmerte, Erk.
18. Okt. 1879 (W. XI. 119). In einem Falle, wo das Familienhaupt sich wegen
Betruges in Haft befand, ohne das über die muthmaßliche Dauer der Haft etwas
feststand, und ohne daß die Gegenpartei den Einwand erhoben hatte, daß dieselbe
in verhältnißmäßig kurzer Zeit ihre Endschaft erreichen werde, wurde durch Erk.
1. Sept 1873 (W. III. 97) die Uebernahmepflicht für begründet erachtet, weil die
Zeitdauer der Hülfsbedürftigkeit in Folge der Freiheitsberaubung des Familienhauptes
sich nicht absehen lasse.
Augenblickliche Obdachlosigkeit ist nicht nothwendig als Beweis dauern-
der Hülfsbedürftigkeit im Sinne des §. 31 zu betrachten, Erk. 26. Sept. und
28. Nov. 1874 (W. V. 99), 3. April 1875 (W. VI. 79) und 1. Juli 1876 (W.
VII. 105); desgl. nicht theilweise Arbeitsunfähigkeit, wenn ihr durch Lieferung eines
Bruchbandes hätte abgeholfen werden können, W. XXIII. 88. Selbst eine wiederholte
öffentliche Unterstützung kann unter Umständen als nicht hinreichend zum Beweise der
dauernden Hülfsbedürftigkeit angesehen werden, Erk. 22. Dez. 1872 (W. IV. 78)
und 11. Sept. 1875 (W. VI. 72).
Die Besorgniß künftiger Bedürftigkeit genügt nicht zur Begründung
des Antrages auf Uebernahme; die öffentliche Unterstützung muß bereits nöthig ge-
worden und gewährt sein — auf Unterstützung durch Privatwohlthätigkeit kommt
es hierbei nicht an, Erk. 10. und 17. Okt. 1874 (W. V. 95—98) und 11. Sept.
1875 (W. VI. 75). Vergl. die Erk. bei W. IV. 73—78; XIV. 93; XV. 105;
XVI. 142; XXI. 140. Auch die Bestellung einer Kaution kann in einem solchen
Falle nicht verlangt werden, VII. 146.
Die (Deputationen] haben auf Uebernahme nicht zu erkennen, sofern — wenn-
gleich erst im Laufe des Streitverfahrens — veränderte Umstände eintreten, welche
die Hülfsbedürftigkeit als eine nichtdauernde erkennen lassen, Erk. 23. Juni 1873
(W. III. 94). Vergl. W. X. 115.
Eine durch Arbeitslosigkeit hervorgerusene Hülfsbedürftigkeit ist in der Regel als
eine vorübergehende zu betrachten, Erk. 19. Juni 1880 (W. XII. 45).
Der Armenverband des Aufenthaltsortes kann auf Uebernahme eines dauernd
Hülfsbedürftigen auch dann klagen, wenn bisher nicht er selbst, sondern ein anderer
Armenverband sich der Gewährung der Unterstützung unterzogen hat, Erk. 25. Sept.
1875 (W. VI. 79) und 8. Mai 1880 (W. XII. 99).
1!) Eine dauernde Hülfsbedürftigkeit liegt nicht vor, wenn die Möglichkeit gegeben
ist, die Angehörigen im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens (s. 65 des Aus-
führungsges., unten S. 390) zur Gewährung der erforderlichen Unterstützung an-
zuhalten, Erk. 7. Febr., 28. März 1885 (W. XVII. 127 und 130). Bei Gefahr im
Verzuge muß aber zunächst die erforderliche nothwendige Unterstützung gewährt werden,
Erk. 1. und 29. Okt. 1887 (W. XX. 73—77).
2) Das Bundesamt hat stets geprüft, ob die dauernde Hülfsbedürftigkeit zur
Zeit des Erlasses des Urtheils nachgewiesen war; es wurden auch die im Laufe
des Prozesses eingetretenen Veränderungen zu Gunsten der dabei interessirten Partei
berücksichtigt, Erk. 23 Okt. 1886 (W. XIX. 123).
Der §. 31 findet auch dann Anwendung, wenn mit der öffentlichen Unter-
stützung erst nach Anstellung der Klage begonnen worden ist, Erk. 29. Mai 1880
(W. XII. 90). »
Desgleichen, wenn die Unterstützung von dem übernahmepflichtigen Armenverbande
im Bezirk des klagenden Armenverbandes gewährt worden ist, Erk. 29. März 1884
(W. XVI. 140) und zwar gleichviel, ob der dauernd Hülfsbedürftige die Unterstützung