Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz §8. 35, 36. 365
Ist nach der Ansicht des unterstützenden Orts-Armenverbandes der Fall
dazu angethan, dem Unterstützten die Fortsetzung des Aufenthalts nach §. 5
des Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (B. G. Bl.
S. 55 ff.) zu versagen, und will der Orts-Armenverband von der bezüglichen
Seiugniß Gebrauch machen, so ist dies in der Benachrichtigung ausdrücklich zu
emerken.
§. 35. Geht auf die erlassene Anzeige innerhalb vierzehn Tagen nach
dem Empfange derselben eine zustimmende Antwort des in Anspruch ge-
nommenen Armenverbandes nicht ein, so gilt dies einer Ablehnung des An-
spruchs gleich. ·
§. 36. Jeder Armenverband ist berechtigt, seine Ansprüche gegen einen
anderen Armenverband auf dem durch dieses Gesetz bezeichneten Wege !) selb-
— –
Zu Anmerkung 2 auf S. 364.
ermittelt werden konnte und nur deshalb nicht ermittelt worden ist, weil der be-
treffende Armenverband die erforderlichen Ermittelungen nicht mit der gehörigen Be-
schleunigung betrieben hat, Erk. 11. Dez. 1875 (W. VII. 117), 2. März 1878 (W.
X. 130), 9. April 1882 (W. XIV. 111), 14. April 1883 (W. XV. 47) und
23. April 1887 (W. XIX. 145).
Die in rechtsgültiger Weise bei der vorgesetzten Behörde gemachte Anmeldung des
Erstattungsanspruches bedarf keiner Wiederholung, auch wenn nachträglich der er-
stattungepflichtige Armenverband ermittelt wird, Erk. 2. Mai 1885 (W. XVII. 142).
Die subsidiäre Anmeldung verliert aber ihre Bedeutung, sobald der endgültig
verpflichtete Armenverband selbst von dem Pflegefall Kenntniß erhält, W. XXIV. 183.
1) Kompetenz in Armenstreitsachen. Für Streitigkeiten der Armen-
verbände über die öffentliche Unterstützung Hülfsbedürftiger im Sinne
des §. 37 sind nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Verwal-
tungsgerichte kompetent, Erk. 13. Nov. 1875 (M. Bl. 1876 S. 47).
Der Arbeiter C., welcher seinen Unterstützungswohnsitz im mittelsten Kirchspiel
auf Fehmarn hat, war mit seiner Familie vom Orts-Armenverbande Burg unterstützt
worden. Das Kirchspiel erkannte seine Erstattungspflicht an und berichtigte die ein-
gesendete Rechnung. Als sich demnächst aber ergab, daß die nach dem Tarif in Ansatz
gebrachte Verpflegung gar nicht stattgefunden hatte, verlangte das Kirchspiel das zuviel
Gezahlte von dem Armenverbande Burg zurück.
Die Schleswig-Holsteinsche Deputation für das Heimathwesen wies den Kläger
klostenpflichtig ab und erklärte sich für inkompetent.
Das Bundesamt erachtete die vom Kläger gegen diese Entscheidung eingelegte
Berufung durch Erk. 11. Mai 1874 (W. IV. 85) für begründet und erkannte dabei
den Grundsatz an,
daß die Deputationen und das Bundesamt für das Heimathwesen nicht bloß
über die Klagen der vorläufig unterstützenden Armenverbände
gegen die definitiv Verpflichteten auf Kostenerstattung und Zu-
rücknahme zu entscheiden haben, sondern in allen Streitigkeiten kom-
petent seien, welche die aus den bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen ent-
springenden Rechte und Pflichten der öffentlichen Armenverbände
— in dieser ihrer Eigenschaft — zum Gegenstande haben, soweit nicht ein
Anderes aus dem Gesetze bestimmt nachzuweisen sei.
Beispielsweise könne auch ein Land- Armenverband, welcher auf Grund des §. 30
die definitive Fürsorge für einen angeblich Landarmen übernommen habe, bei der be-
treffenden Deputation gegen den Orts-Armenverband klagen, in welchem der Unterstützte,
nach dem Resultate nachträglicher Ermittelung seinen Unterstützungswohnsitz habe, und
desgleichen sei ein Anspruch zulässig, der nicht bloß auf Grund einer Bestimmung
des Reichsgesetzes über die Verpflichtung zur Armenpflege, sondern zugleich auch aus
einem, dem Civilrecht angehörenden Fundamente (in casu aus der irrthümlich ge-
leisteten Zahlung einer Nichtschuld) geltend gemacht werde — das im Reichsgesetz
geregelte Verfahren müsse nach dem Willen desselben bei allen Strei-
tigkeiten stattfinden, welche zwischen Armenverbänden über die Ver-
pflichtung zur öffentlichen Armenpflege entstehen. Vergl. W. V. 109;
XVIII. 121; XX. 149.
Die Kompetenz der durch das Reichsges. 6. Juni 1870 bezw. durch das