Abschnitt V. Armenwesen. Preußisches Ausführungsgesetz. 387
F. 38. Die Land-Armenverbände sind verpflichtet, die in ihrem
Bezirke festgenommenen, auf Grund der Bestimmungen des F. 361
Nr. 3 bis 81) des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom
15. Mai 1871 verurtheilten und nach verbüßter Strafe der Landes-
polizeibehörde überwiesenen Personen, auf dahingehenden Be-
chluß dieser Behörde in ein Arbeitshaus unterzubringen. Die
Kosten des Transportes:) der vorgedachten Personen aus dem Gerichts-
gefängniß in das Arbeitshaus, sowie der ihnen etwa Behufs dieses Transportes
zu gewährenden unentbehrlichen Bekleidung fallen dem Staates) zur Last,
wogegen die Land-Armenverbände die Kosten der Verpflegung?) in der An-
stalt, der bei der Entlassung aus dieser, wenn nöthig, zu gewährenden Bekleidung
und entstehenden Falls der Beerdigung in soweit zu tragen haben, als diese
Kosten durch den aufkommenden Arbeitsverdienst nicht gedeckt werden.
§. 39. Die Land-Armenverbände sind fortan, soweit es bisher noch der
Fall ist, nicht mehr verpflichtet, die Kosten der Vollstreckung gerichtlich erkannter
Freigeitsstrafen Hezuglich der in §. 38 gedachten Personen zu tragen.
Verfahren in Streitsachen der Armenverbände.
S. 49. Der Bezirksausschuss“) ist befugt, Untersuchungen an Ort und
Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu
vernehmen, überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Umfange zu erheben.
Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger ver-
nehmen zu lassen, kommen die entsprechenden Bestimmungen der bürgerlichen
Prozeßgesetze zur Anwendung. Der Bezirksausschuss erkennt auf die im Unge-
horsamsfalle zu verhängenden Strafen, vorbehaltlich des innerhalb vierzehn
Tagen nach Zustellung des Strafbescheides zulässigen Rekurses an das Bundes-
amt für das Heimathwesen.
Ss. 50—5670.
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Zu Anmerkung 2 auf S. 386.
entscheidet lediglich das Faktum, wo die Hülfsbedürftigkeit im Gebiete des Deutschen
Reiches hervorgetreten ist, gleichviel welchem Bundesstaat der Hülfsbedürftige als
Unterthan angehört, Erk. 1. Nov. 1884 (W. VII. 132).
Bei den Recherchen, welche der Uebernahme vorangehen, ist lediglich die Frage
der Staatsangehörigkeit zu erörtern; die Uebernahme darf nicht durch Untersuchungen
über den Unterstützungswohnsitz verzögert werden, Res. 9. April 1883 (M. Bl. S. 54).
Die vorläufige Fürsorgepflicht richtet sich auch hier nach §. 28 Reichsges., E.
O. V. VII. 22.
1) Vergl. auch §. 361, 10 und §. 362.
2) Die Kosten des qu. Transportes charakterisiren sich lediglich als Kosten der Po-
lizeiverwaltung, da sie durch Ausführung von Anordnungen der Landes-Polizeibehörde
nach bewirkter Vollstreckung des gerichtlichen Strafurtheils erwachsen. Die Regie-
rungen haben dieselben aus dem Fonds zu allgemeinen polizeilichen Zwecken zu decken,
Res. 6. Juli 1871.
:) Und zwar gleichviel, ob die Strafe in einem unter der Verwaltung des Justiz-
ministerii oder der des Innern stehenden Gefängnisse verbüßt ist, Res. 6. Juli 1871
(M. Bl. S. 205). Vergl. wegen der Bekleidung §. 17 der Transport-Iustr.
!) Zu den Kosten der Verpflegung gehören auch die Kosten der ärztlichen Be-
handlung und Verpflegung, mithin auch die Kosten der Beschaffung von Bruchbändern,
Res. 16. März 1889 (M. Bl. S. 82).
5) L. V. G. 30. Juli 1883. §. 158: Aufgehoben sind die s§. 40—48, 50—56
des Ges. 8. März 1871, betr. die Ausführung des Bundesgesetzes über den Unter-
stützungswohnsttz.
Das Verfahren regelt sich nach Vorschrift der ös. 61—114 L. V. G. 30. Juli
1883, mit der Maßgabe, daß die Berufung gegen die Entscheidung des Bezirksaus-
schusses nicht an das Oberverwaltungsgericht, sondern aun das Bundesamt für das
Heimathwesen geht und binnen 14 Tagen angebracht werden muß. Vergl. §. 7
L. V. G., §. 46 Reichsges. oben S. 370 und §. 57 des obenstehenden Ges.
6) Zust. Ges. S. 39.
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