390 Abschnitt V. Armenwesen. Preußisches Ausführungsgesetz.
Oeffentliche Unterstützung hülfsbedürftiger Ausländer.
§. 64. Jeder Ausländer 9 ist, so lange ihm der Aufenthalt im Inlande
gestattet wird, in Bezug !#
a) auf die Art und das Maß der im Falle der Hülfsbedürftigkeit zu ge-
währenden öffentlichen Unterstützung,
b) auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes
einem Deutschen gleich zu behandeln.
Verhältniß der Armenverbände zu anderweit Verpflichteten,
und zu den Behörden.
§. 65. Auf den Antrag des Armenverbandes, der einen Hülfsbedürftigen
unterstützen muß, können durch einen mit Gründen versehenen Be-
schluß der Verwaltungsbehörde nach Anhörung:) der Betheiligten
der Ehemann, die Ehefrau, die ehelichen Eltern, die uneheliche
Mutter sowie die ehelichen Kinder'“) und die unehelichen Kinder
in Beziehung auf die Mutter, angehalten werden, dem Hülfs-
bedürftigen nach Maßgabe ihrer gesetzlichen Verpflichtung die
erforderliche laufende Unterstützung zu gewähren.
Zu Anmerkung 1 auf S. 889.
Falle die miethweise Beschaffung eines Obdaches außer dem Bereich der Möglichkeit
liegt, so hat der Gemeindevorsteher die Gewährung eines solchen den einzelnen Ge-
meindegliedern nach Maßgabe ihrer Steuerpflicht im Reihenwege aufzuerlegen. Vor-
aussetzung hierbei ist die Dringlichkeit des Bedürfnisses, Erk. O. V. G. 2. Okt.
und 24. Nov. 1880 (E. O. V. VII. 129 —136).
1!) In Preußen liegen die Kosten der inländischen Armenpflege für einen Aus-
länder gemäß §. 64 nicht dem Staate ob, sondern dem Orts-Armenverbande seines
Unterstützungswohnsitzes oder dem betreffenden Land-Armenverbande. Ausländer er-
werben in Preußen, gleich den Inländern den Unterstützungswohnsitz — und zwar
mit den ihnen nach 85. 15 ff. des Reichsgesetzes folgenden Angehörigen, auch dann,
wenn die letzteren nicht an ihrem Hausstande Theil genommen und sich bisher im
Auslande aufgehalten haben, Erk. 13. März 1878. (W. X. 142).
Ausländer verlieren, wenn der Staat von seinem Ausweisungsrechte gegen sie
Gebrauch macht, nicht den in Preußen bereits erworbenen Unterstützungswohnsttz; fie
sind im Fall der Rückkehr von dem Armenverbande zu verpflegen, dem sie vor ihrer
Heimschaffung angehörten, Erk. 27. Jan., 3. März u. 19. Mai 1883 (W. XV. 133 fl..
Vergl. W. XXII. 81.
Ausländer sind auch unter denselben Voraussetzungen, wie Inländer, als Land-
arme zu behandeln, W. XXVII. 98. ·
’)DieAnhörungderBetbeiligtendarfnieunterbleiben,weilfonstdervonden
Angehörigen zu erhebende Einwand des eigenen Unvermögens nicht früher als im
Rekursgesuch geltend gemacht werden könnte und die dem Einwande zum Grunde
liegenden Thatsachen erst in der Rekursinstanz zur Erörterung gelangen würden, Res.
24. Febr. 1873 (M. Bl. S. 73).
„) Die gesetzliche Alimentationspflicht der Kinder ihren Eltern gegenüber, geht
nach dem Erk. R. G. 3. März 1881 (R. u. St. A. Nr. 86) so weit, daß ein Kind,
welches, durch seine Arbeit sich nothdürftig ernährend, ein nur geringes Kapital besitzt,
das zur Begründung einer künftigen selbständigen Existenz dienen soll, dieses Kapital
zur Unterstützung seiner Eltern anzugreifen resp. zu verwenden hat. (Das gedachte
Erkenntniß ist im Geltungsbereich des Pr. A. L. R. ergangen.)
Die Vorschrift des §. 65 findet auf Eltern und Kinder, nicht auf Ascendenten und
Descendenten der entfernteren Grade Anwendung, Erk. 8. Okt. 1881 (E. K. v. 154).
Allgemeines Landrecht: "
Ueber die gegenseitige Unterstützungspflicht der Eltern und Kinder, sowie der
Ascendenten und Descendenten vergl. §s. 63— 66, 251—254 II. 2, §. 14 und §. 17
II. 3 A. L. R, desgl. der Geschwister vergl. 88. 15, 18 u. 19 II. 3 ebend. und
der Eheleure vergl. §§. 185, 186, 261, 262, 724, 725 u. 728 II. 1 A. L. R., nach
der Ehescheidung vergl. 9§. 759, 760, 798, 809 und 823 II. 1 A. L. R. Dekl.