Abschnitt VI. Zulässigkeit des Rechtsweges. 433
§. 7. Durch dergleichen Ausnahmen sollen die übrigen Mitglieder derselben
Klasse mit höheren Lasten nicht beschwert werden.
§. 8. Wer ein solches zur Belastung der übrigen Mitglieder gereichendes
Privilegium für sich anführt, gegen den gilt die Vermuthung, daß er selbiges
erschlichen habe.
§. 9. Streitigkeiten, welche über die Vertheilung der aus dem Be-
steuerungsrechte fließenden Abgaben unter den Kontribuenten entstehen, werden,
in Ermangelung hinlänglicher, durch Verträge, wohl hergebrachte Gewohn-
heiten oder besondere Gesetze begründeter Bestimmungen, nach den Regeln
einer ohne ausdrücklichen Vertrag entstandenen Gemeinschaft (Theil I. Tit. 17
Abschn. 1) beurtheilt.
§. 78. Ueber die Verbindlichkeiten zur Entrichtung allgemeiner Anlagen,
denen sämmtliche Einwohner des Staats oder alle Mitglieder einer gewissen
Klasse derselben, nach der bestehenden Landesverfassung unterworfen sind
(§§. 2, 3) findet kein Prozeß statt 1)7).
§. 79. Behauptet aber jemand, aus besonderen Gründen die Befreiung
von einer solchen Abgabe (§§. 4—8), oder behauptet er, in der Bestimmung
seines Antheils über die Gebühr belastet zu sein (§. 9), so soll er darüber
rechtlich gehört werden 2)7)5)5).
. – —
1) Zu den steuerlichen Anlagen im Sinn des §. 78 gehören beispielsweise auch
die Einquartierungslast, Erk. 3. Febr. 1855 (J. M. Bl. S. 100), 11. Mai 1861
(J. M. Bl. 1862 S. 47) und 11. Jaon. 1873 (J. M. Bl. S. 73); vergl. auch
Erk. O. Trib. 24 April 1873 (E. LXIX. 223), wogegen bei Streitigkeiten zwischen
Gemeinde und dem Fiskus über Einquartierungskosten der Rechtsweg nicht ausgeschlossen
ist, Erk. Komp. G. H. 1. Mai 1861 (J. M. Bl. 1862 S. 44), Erk. R. G. 8. Dez.
1881 (J. M. Bl. 1882 S. 316), desgl. die Verpflichtung zur Unterhaltung des
Bürgersteigs, Erk. Komp. G. H. 12. März 1883 in Sachen Kirchengemeinde gegen
Stadtgemeinde Dortmund, der Vorspann, Erk. 29. April 1854 (J. M. Bl. S. 348),
die Verpflichtung der Gemeinden, die ausgehobenen Rekruten mit dem nöthigen Schuh-
zeug 2c. zu versehen, Erk. 14. Juli 1866 (M. Bl. S. 197); nicht dagegen Leistungen
privatrechtlichen Titels und die subsidiäre Armenpflegelast der Kommune, Erk. Komp.
G. H. im J. M. Bl. 1855 S. 222 und 384.
Der Ausschluß des Rechtsweges bezieht sich nicht nur auf die Frage, ob ein an
sich Stenerpflichtiger den speziell geforderten Abgabenbetrag schuldet, sondern auch
darauf, ob die Voraussetzungen der Steuerpflicht überhaupt vorliegen, Erk. Komp. G.
H. 14. Okt. 1882 (M. Bl. S. 268).
2) Ueberall, wo die neueren Verwaltungsgesetze das Verwaltungsstreit-Verfahren
über Abgabepflichten eröffnen, ist gemäß §. 13 Ger. Verf. Ges. der Rechtsweg ent-
zogen, so bei Kreisabgaben, 5. 19 Kr. O., Amtsabgaben, §. 70 a Kr. O, Provinzial-
abgaben, §§. 1, 160 Zust. Ges., Gemeinde= und Gutsabgaben, 838. 18, 34, 160 das.
und §. 171 L. G. O. 3. Juli 1891, Armenverbandslasten, 8§. 44, 160 Zust. Ges.,
Schullasten, 88. 46, 47, 160 das., Synagogenabgaben, §§. 54, 160 das., Lasten der
Spritzenverbände, 8§. 140, 160 daf.
3) Wer eine der vorstehend gedachten Exemptionen (Vertrag, Privilegium oder
Verjährung) in Anspruch nimmt, muß, wenn er seine Angabe gehörig substantürt,
zum Rechtswege zugelassen werden.
*) Ein Prägravation nach F§. 79 und §. 9 II. 14 A. L. R. ist nur dann
im Rechtswege zu erörtern, wenn Mehrere zusammen eine Abgabe zu entrichten
baben, und unter diesen der Eine zu Gunsten der Anderen zu hoch belastet zu sein
behauptet und deshalb diese Anderen auf Ausgleichung belangt, nicht aber, wenn
gegen die erhebende Behörde selbst aufgetreten werden soll, Erk. Komp. G. H. 12. Nov.
1860 (J. M. Bl. S. 360). ·
Ein Vertrag kann als Rechtsgrund für die behauptete Befreiung von einer
Abgabe nur dann geltend gemacht werden, wenn derselbe für den Abgabeberechtigten
verbindend ist, Erk. Komp. G. H. 10. Jan. 1852 (J. M. Bl. S. 84). Beispiels-
weise ist der Einwand, daß eine streitige Pfarr- oder Schulabgabe durch Verabredung
der Zahlungspflichtigen ganz oder theilweise auf ein anderes Grundstück oder auf eine
abgezweigte Parzelle übertragen sei, nicht geeignet, den Rechtsweg zu begründen, so-
Illing-Kautz, Haudbuch I, 7. Aufl. 28