46 Abschnitt II. Die Preußische Verfassung.
Titel VI. Von derrichterlichen Gewalt.
Artikel 86 ). Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch
unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene
Gerichte ausgeübt. Z
Die Urtheile werden im Namen des Königs?) ausgefertigt und vollstreckt.
Artikel 87. Die Richter werden vom Könige oder in dessen Namen auf
ihre Lebenszeit ernannt.
Sie können nur durch Richterspruch aus Gründen, welche die Gesetze vor-
gesehen haben, ihres Amtes entsetzt oder zeitweise enthoben werden. Die vor-
läufige Amtssuspension, welche nicht Kraft des Gesetzes eintritt, und die un-
freiwillige Versetzung an eine andere Stelle oder in den Ruhestand können
nur aus den Ursachen und unter den Formen, welche im Gesetze angegeben
sind und nur auf Grund eines richterlichen Beschlusses erfolgen?. *2
Auf die Versetzungen, welche durch Veränderungen in der Organisation
der Gerichte oder ihrer Bezirke nöthig werden, finden diese Bestimmungen
keine Anwendung?).
Artikel 88 aufgehoben durch Ges. vom 30. April 1856 (G. S. S. 297)0.
b Artikel 89. Die Organisation der Gerichte wird durch das Gesetz)
estimmt.
Artikel 90. Zu einem Richteramte darf nur der berufen werden,
welcher sich zu demselben nach Vorschrift der Gesetze befähigt hat.“)
Artikel 91. Gerichte für besondere Klassen?) von Angelegenheiten, ins-
besondere Handels= und Gewerbegerichte, sollen im Wege der Gesetzgebung an
den Orten errichtet werden, wo das Bedürfniß solche erfordert.
Die Organisation und Zuständigkeit solcher Gerichte, das Verfahren bei
denselben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen Verhältnisse der
letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch das Gesetz festgestellt.
Artikel 92. Es soll in Preußen nur ein oberster Gerichtshof bestehen 10.
1) Ger. Verf. Ges. §F. 1.
2) Die des Reichsgerichts ergehen im Namen des Reichs.
2) Vergl. jetzt §. 6 Ger. Verf. Ges.z; §. 7 Ausf. Ges, zum Ger. Verf. Ges.
) Vergl. §. 8 Ger. Verf. G.; Ges. 7. Mai 1851 (G. S. S. 218); 26. März
1856 (G. S. S. 201); 9. April 1879 (G. S. S. 345).
5) Ges. 19. Febr. 1879 (G. S. S. 18). »
Hinter den Artikel 87 der Verf.-Urk. vom 21. Januar 1850 wird folgender
Artikel 87a eingestellt:
Bei der Bildung gemeinschaftlicher Gerichte für Preußische Gebietstheile und
Gebiete anderer Bundesstaaten sind Abweichungen von den Bestimmungen des
Artikels 86 und des ersten Absatzes im Artikel 87 zulässig.
6) Der aufgehobene Artikel 88 lautete:
Den Richtern dürfen andere besoldete Staatsämter fortan nicht übertragen
werden. Ausnahmen sind nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.
7) Die Organisation der Gerichte ist geregelt durch das Ger. Verf. Ges. 27. Jan.
1877 (R. G. Bl. S. 41) nebst Einf. Ges. 27. Jan. 1877 (a. a. O. S. 77) und
Ausf. Ges. 24. April 1878 (G. S. S. 230).
") Ck. Ger. Verf. Ges. 27. Jan. 1877 §§. 2—6 (R. G. Bl. S. 41) und Ausf.
Ges. 24 April 1878 §S§. 1 und 2 (G. S. S. 230). Ges. 12. März 1869 (G. S.
S. 482) über die Anstellung im höheren Justizdienst. Ges. 6. Mai 1869 und
1. Juni 1874 (G. S. S. 212) nebst Regulativ 1. Mai 1883 (J. M. Bl. S. 131),
betr. die juristischen Prüfungen und die Vorbereitung zum höheren Justizdienst.
88. 1—11 neu gefaßt, Res. 3. Nov. 1890 (J. M. Bl. S. 277); §. 23 ergänzt,
Res. 12. März 1888 (J. M. Bl. S. 64); Gebühr, Res. 21. März 1891 (J. M.
Bl. S. 133).
5) Ct. " 14, 100 des Ger. Verf. Ges. 27. Jan. 1877 (R. G. Bl. S. 41)
und S§. 3, 5, 6 des Einf. Ges. dazu. * .
10) Cf. Artikel 116. Oberster Gerichtshof für Preußen ist jetzt das Reichsgericht
in Leipzig. Vd. 26. Sept. 1879 (R. G. Bl. S. 287), betr. die Uebertragung
preußischer Rechtssachen auf das Reichsgericht. Für gewisse Fälle streitiger und nicht
streitiger Gerichtsbarkeit ist das Kammergericht zu Berlin in letzter Instanz aus-
schließlich zuständig. Ausf. Ges. 24. April 1878 §§. 50 und 51.