Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Uebertretungen. 655 
oder andere dergleichen Gesellschaften oder Anstalten errichtet, welche 
bestimmt sind, gegen Zahlung eines Einkaufgeldes oder gegen Leistung 
von Geldbeiträgen beim Eintritte gewisser Bedingungen oder Fristen, 
Zahlungen an Kapital oder Rente zu leisten; 
10. wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Noth von der Polizei- 
behörde oder deren Stellvertreter zur Hülfe aufgefordert, keine Folge 
leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr ge- 
nügen konnte:; 
11. wer ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder wer groben 
Unfug 1) verübt; 
2. (in der durch Ges. 24. Mai 1880 abgeänderten Fassung) wer als Pfand- 
leiher:) oder Rückkaufshändler bei Ausübung seines Gewerbes den 
Zu Anmerkung 3 auf S. 654. 
Vergl. St. M. B. 17. Juni 1867 und Res. 31. Aug. 1867 (M. d. J. I. A. 
6950). 
Eine Strikekasse, welche ihren arbeitslosen Mitgliedern nicht etwa freiwillige 
Unterstützungen, sondern kraft verbriefter statutarischer Zahlungsverpflich- 
tung die Gewährung einer bestimmten wöchentlichen Geldsumme beim Eintritt ge- 
wisser Bedingungen (also eine nach Art einer Rente zahlbare periodisch wiederkehrende 
Leistung) zusichert, ist eine Versicherungsanstalt im Sinne des §. 1 Ges. 17. Mai 
1853 resp. §. 360 Nr. 9 Str. G. B. und bedarf deshalb der staatlichen Genehmi- 
gung, Erk. O. V. G. 13. Juli 1878. 
1) Auch Angriffe gegen einzelne Personen können unter die Vorschrift des §. 360 
Nr. 11 wegen Verübung groben Unfugs gezogen werden, Erk. R. G. 26. Nov. 1881 
(E. Crim. V. 299). (In casu hatten die Angeklagten auf öffentlicher Straße drei 
Mädchen angegriffen und in unanständiger Weise belästigt.) 
Die polizeiliche Konzession zur Abhaltung von Tanzmustik verleiht dem Betreffenden 
noch keineswegs die Befugniß, ohne den Anspruch der Nachbarn auf Ruhe, nament- 
lich zur Nachtzeit, zu berücksichtigen, ruhestörenden Lärm durch Musik zu erregen; er 
ist vielmehr, wenn er sich nicht strafbar machen will, verpflichtet, trotz der ihm er- 
theilten Konzession diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche durch die Rücksicht- 
nahme auf die nächtliche Ruhe der Nachbarn geboten sind, Erk. 19. Febr. 1883 
(E. K. III. 372). (Beispielsweise darf er nicht die Fenster unaufhörlich offen lassen, 
um kühlere Luft in den Saal zu bringen u. dergl.) 
Der §. 360 Nr. 11 kann unter Umständen auch dann zur Anwendung kommen, 
wenn der ruhestörende Lärm innerhalb eines von mehreren Personen bewohnten Hauses 
erfolgt, so daß auch die übrigen Hausbewohner dadurch beunruhigt werden, Erk. 
22. Febr. 1888 (E. Crim. XlII. 366). 
Wer sich durch öffentliche Anzeige als Wahr sager ankündigt und das Publikum 
zu Besuchen einladet, kann wegen groben Unfugs verfolgt und bestraft werden, Erk. 
O. Trib. 16. Juli 1873 (J. M. Bl. S. 242). 
In dem Erk. R. G. 3. Juni 1889 (E. Crim. XIX. 294) ist ausgeführt, daß 
unter grobem Unfug nicht jeder störende Eingriff in die unter dem Schutze der 
öffentlichen Ordnung stehenden Interessen und Gerechtsame zu verstehen sei, daß der 
§. 360 Nr. 11 vielmehr nur solche den äußeren Bestand der öffentlichen Ordnung 
unmittelbar verletzenden Ungebührlichkeiten verpöne, durch welche das Publikum schlecht- 
hin, nicht also ein individuell begrenzter Personenkreis gefährdet oder belästigt und 
solchergestalt der öffentliche Friede im Allgemeinen beunruhigt wird. Solcher Unfug 
kann auch durch die Presse verübt werden, sobald eine Druckschrift frivoler Weise 
erfundene Nachrichten sensationellen Gepräges unter das Publikum wirft, welche dazu 
angethan sind, Verwirrung, Bestürzung, Tumult in den Massen des letzteren zu ver- 
ursachen. Mißachtende Aeußerungen über politische oder religiöse Ueberzeugungen 
Anderer, selbst wenn denselben unwahre Thatsachen unterstellt werden, erfüllen aber 
den Thatbestand des groben Unfugs nicht. Vergl. E. Crim. XVI. 98. · 
Eine sozialdemokratische Kundgebung, insbesondere das demonstrative Tragen einer 
rothen Fahne kann grober Unfug sein, E. Crim. XXIII. 208. Z 
2) Die Ueberschreitung des Zinsfußes ist nur bei denjenigen Pfandleihern und 
Rückkaufshändlern strafbar, die die gesetzlich erforderliche Erlanbniß zu solchem Ge- 
werbebetriebe erhalten haben, Erk. 8. Mai 1883 (E. Crim. VIII. 283).
	        
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