840 Abschnitt XIV. Prozessionen.
Reskript vom 26. August 1874 (M. Bl. S. 201), betreffend die Abhaltung kirch-
licher Prozessionen, Wallfahrten 2c. #.
Wenn auch nach §. 10 des Gesetzes vom 11. März 1850 herkömmliche kirchliche
Prozessionen, Wallfabrten rc. 2c. frei sein sollen von dem Erfordernisse vorgängiger
polizeilicher Genehmigung, so ist doch diese Bestimmung nur in der Voraussetzung
getroffen worden, daß von solchen Außzügen eben, weil sie hergebrachtermaßen zuge-
lassen worden sind, für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nichts zu befürchten
sei, auch alle dem Verkehr schuldige Rücksichten dabei beachtet werden würden.
Wo diese Vdraussetzung nicht zutreffen sollte, wird dies in den meisten Fällen
seinen Grund darin haben, daß die Grenzen des „Hergebrachten“ überschritten worden
sind, oder daß Uebergriffe stattgefunden haben, für welche durch das gedachte Gesetz
in keiner Weise ein Privilegium ertheilt werden sollte. Es wird also nur darauf
ankommen, das Gesetz richtig zu handhaben. In dieser Beziehung bemerken wir
Folgendes:
1. Es ist mit Strenge darauf zu halten, daß ohne vorgängige schriftliche Ge-
nehmigung der Ortspolizzeibehörde nur solche kirchliche Prozessionen, Wallfahrten
und Bittgänge auf öffentlichen Straßen und Plätzen zugelassen werden, welche
zweifellos hergebracht sind, und nur, soweit sie sich nach Zeit, Ort, Form
und Bedeutung genau innerhalb der hergebrachten Grenzen bewegen. Ueber-
schreitungen dieser letzteren sind gemäß §. 17 des Vereins-Gesetzes zur Be-
strafung zu bringen, und Prozessionen 2c. 2c., welche ohne Genehmigung die
hergebrachten Grenzen in einer der vorgedachten Beziehungen verlassen, find
zu inhibiren.
2. Die Genehmigung zu solchen Prozessionen 2c. 2c., welche nicht zu den herge-
brachten gehören, oder welche in einer andern, als der hergebrachten Art beab-
sichtigt sind, wird von den Ortspolizeibehörden gemäß §Ss. 9, 10 1. c. bei
eigener Verantwortung nur dann ertheilt werden dürfen, wenn davon eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in keiner Hinsicht zu be-
fürchten ist. Eine solche Gefahr wird bei Wallfahrten auf längere Strecken,
welche ein Uebernachten erfordern, stets, bei anderen, sowie bei Prozessionen,
und Bittgängen, sobald die Betheiligung größerer Menschenmengen daran zu
erwarten steht, im Hinblicke auf die erfabrungsmäßig bei derartigen Gelegen-
heiten vielfach vorkommenden und schwer zu vermeidenden Ungehörigkeiten
in der Regel als vorhanden anzusehen sein. Wird aber im einzelnen Falle
die Genehmigung ertheilt, so sind dabei die Vorschriften des dritten Absatzes
des §. 9 des Vereins-Gesetzes genau zu beachten. Für kirchliche Aufzüge,
welche sich durch mehrere Polizei-Bezirke hindurch bewegen sollen, bedarf es der
vorgängigen Genehmigung der Ortspolizeibehörden eines jeden dieser Bezirke.
3. Es ist nicht zu dulden, daß durch kirchliche Aufzüge, auch wenn sie hergebracht
sind, der Straßenverkehr ungebührlich beschränkt oder gar abgeschnitten werde.
Nicht nur ist die Errichtung von Altären auf öffentlichen Straßen und
Plätzen nur an solchen Stellen zu gestatten, wo sie nachweislich hergebracht
ist, sondern es sind auch die sonst erforderlichen Anordnungen — geeigneten
Falles durch Erlaß bezüglicher Polizeiverordnungen zu dem Zwecke zu treffen,
daß nicht durch besondere, wenn auch in sich erlaubte Benutzungs-Akte, wie
durch hergebrachte Prozessionen 2c., die Ausübung des allgemeinen Rechtes auf
Benutzung der öffentlichen Straßen und Plätze verhindert oder sonst Jemandem,
namentlich Andersgläubigen, in der freien Ausübung gesetzlicher Befugnisse,
sowie z. B. des eigenen Gottesdienstes zu nahe getreten werde.
4. Die Prozessionen bilden einen Bestandtheil des Gottesdienstes derjenigen
Kirche, von welcher sie ihren Ausgang nehmen. Als Unternehmer im Sinne
des §. 9 des Vereins-Gesetzes wird daher derjenige Geistliche anzusehen sein,
welchem die Direktion des Gottesdienstes in der betreffenden Kirche obliegt,
d. i. bei Pfarrkirchen der Pfarrer. Derjenige Beistliche, dem die abhaltung
einer Prozession, sei es auf Grund seines Amtes oder auf Grund eines Auf-
trages des Pfarrers obliegt, wird der Regel nach als Leiter derselben anzusehen
sein; welche Personen außerdem als Leiter oder Ordner gemäß §. 17 des
Vereins-Gesetzes verantwortlich sind, ist nach den konkreten Verhältnissen zu