Full text: Die deutsche und die brandenburgisch-preußische Geschichte. Dritter Teil: Preußisch-deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart. (3)

Wilhelm J. 89 
den der dankbare König in den Grafenstand erhob, und vor allem 
Otto von Bismarck-Schönhausen. Dieser war der eigent— 
liche Träger von Wilhelms I. Politik. Er stammte aus einer alt- 
märkischen Familie und wurde am 1. April 1815 zu Schönhausen 
(rechts von der Elbe, zwischen Stendal und Rathenow) geboren. Er 
besuchte das Gymnasium in Berlin und die Universitäten zu 
Göttingen, Berlin und Greifswald, auf denen er sich juristischen und 
geschichtlichen Studien hingab. Seine politische Laufbahn begann 
er als Mitglied des Vereinigten Landtages, und da er hier, sowie im 
Abgeordnetenhause, im Erfurter Parlament und als Bundestags- 
gesandter in Frankfurt a. M. stets gut altpreußische, monarchische 
Anschauungen vertrat, so galt er nach der damals herrschenden 
Meinung allgemein für einen „Reaktionär vom reinsten Wasser“ 
und für einen „Junker“, der die konstitutionslosen Zeiten und die 
Vorrechte des Adels wiederherzustellen suche. Nachdem er dann seit 
1859 die Stellung eines Gesandten in St. Petersburg und seit dem 
Frühjahr 1862 die eines Botschafters in Paris bekleidet hatte, erhielt 
er im Herbste desselben Jahres die Berufung als preußischer 
Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen. Niemand 
ahnte damals, daß es diesem anfangs so verkannten und geschmähten 
Staatsmanne binnen kurzer Zeit gelingen würde, Preußen und 
Deutschland aus der tiefsten Erniedrigung zur ersten Macht der Welt 
emporzuheben, und daß die größte Sehnsucht des deutschen Volkes, 
die Einheit Deutschlands, durch den Rat, den er seinem Könige gab, 
zur Wirklichkeit werden sollte. Was aber Bismarck zum größten 
Staatsmanne aller Zeiten und Völker machte, war, ganz abgesehen 
von seinen unermeßlichen Erfolgen, die stets ehrliche, streng sittliche 
Verfahrungsweise, mit der er seine hohen Ziele zu verfolgen und zu 
erreichen wußte. Nach dem Vertrage von Gastein wurde er in den 
Grafenstand erhoben, 1867 zum Kanzler des Norddeutschen 
Bundes, 1871 zum Reichskanzler und Fürsten und 1890 bei 
seinem Austritte aus dem Staats= und Reichsdienste zum Herzoge 
von Lauenburg ernannt. In diesem Ländchen an der untern 
Elbe liegen Friedrichsruhe und der Sachsenwald 1), eine Besitzung 
Bismarcks, auf der er die letzten Jahre seines Lebens zubrachte, und 
wo er zum tiefsten Schmerze aller Deutschen am 30. Juli 1898 starb. 
1) Der jetzige preußische „Kreis Herzogtum Lauenburg“ war früher 
„sächsisches“ Land. Vgl. Teil I, § 51, Anm. 
 
	        
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