Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. Wissenschaften. 87
und von denen jede ihre Interessen und Maximen hat. Aber
diese in anerkannter und sichtbarer Form jedem wahrnehmbaren
Gesellschaften sind nicht die einzigen, die im Staate existieren: alle
einzelnen, die ein gemeinsames Interesse miteinander verbindet,
bilden ebenso viele andere dauernde oder vorübergehende, deren
Macht nicht weniger wirklich ist, weil man sie weniger bemerkt,
und deren verschiedene, wohlbeachtete Verhältnisse die wahre
Kenntnis der Sitten ausmachen. Alle diese förmlichen oder still-
schweigenden Gesellschaften modifizieren auf so vielerlei Art die
Äußerungen des öffentlichen Willens durch ihren Einfluß‘ !).
Das partikulare Gesellschaftsinteresse, führt Rousseau weiter
aus, sucht sich auf Kosten des Gemeininteresses zur Geltung zu
bringen; daher wird der Gemeinwille stets Gefahr laufen, durch
das Vordrängen der gesellschaftlichen Interessen getäuscht zu
werden.
Diese Ausführungen liegen einer berühmten Stelle des contrat
social zugrunde, die erst durch sie von Grund aus verständlich
wird. Dort stellt nämlich Rousseau der volente generale die
volont& de tous gegenüber. Die eine ist der Wille des Staates,
die andere der durch einander widerstreitende Interessen ge-
spaltenen Gesellschaft. Die ‚„partiellen Gesellschaften‘ haben auch
einen Gemeinwillen ihren Gliedern gegenüber, der aber im Ver-
hältnisse zum Staatswillen Partikularwille ist. In einem solchen
Staatswesen kann man sagen, daß nicht die einzelnen Menschen,
sondern die Gesellschaftsgruppen ihre Stimme abgeben. Das
Ideal eines Staates ist daher dasjenige, in welchem kein parti-
kulares Gesellschaftsinteresse zwischen Individuum und Staat sich
einschiebt?). |
Die Ausführungen Rousseaus waren es wohl, die Hegel zu
"1) „Toute societe politique est composee d’autres societes plus
petites de differentes especes, dont chacune a ses inter&ts et ses maximes:
mais ces sociätös, que chacun apercoit parce qu’elles ont une forme
exterieure et autorisee, ne sont pas les seules qui existent r&ellement
dans l’Etat; tous les particuliers qu’un inter&t commun r£&unit en com-
posent autant d’autres, permanentes ou passagäres, dont la force n’est
pas moins reelle pour &tre moins apparente, et dont les divers rapports
bien observös font la veritable connoissance des maurs. Ce sont toutes
ces associations tacites ou formelles qui modifient de tant de mani£res
les apparences de la volonte publique par l’influence de la leur.‘
Rousseau (Euvres complötes III, Paris 1865, p. 281.
2) 1.II ch.1II: Si la volonte generale peut errer.