88 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
seiner Grundauffassung der bürgerlichen Gesellschaft anregten?).
Denn er bezeichnet sie als die zwischen Familie und Staat
tretende Bildung, in der jeder sich Zweck ist, der aber nicht
ohne Beziehung auf andere erreicht werden kann. Der besondere
Zweck gibt sich durch die Beziehung auf andere die Form der
Allgemeinheit und befriedigt sich, indem er zugleich das Wohl
der anderen mitbefriedigt. So willkürlich auch die näheren Aus-
führungen Hegels sind, so haben ‚sie doch durch die scharfe
dialektische Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft auf die
Auffassung der deutschen Staatswissenschaft von der Gesellschaft
mitbestimmend eingewirkt?). Die wesentlichste Anregung zu
ihren Konstruktionen kam ihr aber direkt von den französischen
Sozialisten.
In der Zeit tiefgreifender Umwälzungen und aus diesen sich
entwickelnder neuer Gärungen erlangt der Begriff der Gesell-
schaft in Frankreich große praktische Bedeutung. In der Tages-
presse sowohl als auch in der wissenschaftlichen Literatur wird
von der societ& als einer vom Staate verschiedenen Bildung ge-
sprochen, ohne daß zunächst der Versuch gemacht würde, sie
theoretisch zu definieren. Erst Saint-Simon weist energisch
den Gegensatz der staatlichen Organisation und der gesellschaft-
lichen Verhältnisse auf und erklärt, daß die Gesellschaft die
wirtschaftlichen Klassen seien, deren Entwicklung dahin gehe,
die wichtigste unter ihnen, die industrielle, zur staatlich herrschen-
den zu machen). Noch schärfer hat der trotz aller Gegner-
schaft wider den Sozialismus unter dem Einfluß der sozialistischen
Gesellschaftslehre stehende Proudhon den Staat als das Ünter-
drückung übende gouvernement im (Gegensatz zur societ& be-
1) Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke VIII 2. Aufl.
S.240ff., vgl. auch die Auseinandersetzung mit Rousseau S. 306 ff.
2) Namentlich durch L.v. Stein, der ganz im Banne Hegels stand,
wenn er auch den Inhalt seiner Gesellschaftslehre von den französischen
Sozialisten empfing. Aber auch K. Marx dürfte von dem Grundgedanken
der Hegelschen Gesellschaftslehre nicht ganz unbeeinflußt geblieben sein.
3) Vgl.namentl.Saint-Simon Catechisme des industriels 1822—23.
R.Schmidt, I S.105, behauptet den Einfluß Hegels auf Saint-Sirmon,
was unbegründet ist. Der von Schmidt als Zeuge herangezogene
Ahrens, a.a.0. 1 S.204 Anm.2, spricht auch gar nicht von der Lehre
Saint-Simons, sondern vom Saint-Simonismus, zwei, wie Ahrens im Text
richtig hervorhebt, ganz verschiedene Doktrinen.