4 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
Ergebnis ungeheurer sozialer Massenwirkungen; der eine erklärt,
daß die klimatischen Verhältnisse, der andere, daß die ethische
Ausstattung eines Volkes den Lauf seiner Geschicke bestimmen;
dem einen ist das Recht das Produkt sittlicher Ideen, dem anderen
ausschließlich das Ergebnis von Klassenkämpfen. Wissenschaft-
liche Besonnenheit wird leicht den Fehler ‚solcher Betrachtungs-
weisen erkennen. Da jede soziale Erscheinung unendlich viele
Ursachen hat, so ist es leicht, aus der Reihe der Ursachen eine
oder beliebig viele herauszugreifen und sie als die alleinigen
hinzustellen. Der methodische Fehler liegt solchenfalls nicht in
der Behauptung, daß bei einer Wirkung x, die aus'den Ursachen
ab cd e resultiert, a die Ursache von x sel,
sondern darin, daß nur a die Ursache darstelle. Sehr häufig tritt
es ın der Geschichte einer Wissenschaft ein, daß neue Ansichten
im Kampfe mit den bisher herrschenden sich dadurch den Sieg
zu verschaffen suchen, daß sie die von ihnen aufgedeckten, bisher
unbekannten oder vernachlässigten Ursachen als die ausschließd-
lichen der von ihnen zu erklärenden Erscheinungen aufstellen.
So hal man z.B. die Entstehung der Religion ausschließlich auf
mvthische Personifizierung von Naturkräften und sodann im
Kampfe mit dieser Anschauung ausschließlich auf den Ahnenkult
zurückführen wollen. Die Einseitigkeit solchen Verfahrens wird
durch den steten Hinblick auf die Mannigfaltigkeit des sozialen
Geschehens vermieden, namentlich wenn man sich den so oft ver-
nachlässigten Erfahrungssatz vor Augen hält, daß ein und der-
selbe Effekt durch ganz verschiedene Ursachen erzeugt werden
kann.
Das zweite Phänomen, das aus dem Zusammenhang der nviel-
verschlungenen sozialen Verhältnisse sich ergibt, besteht darın,
daß jeder soziale Vorgang günstige und schädliche Wirkungen
äußert, woran keine menschliche Berechnung etwas zu ändern
‚vermag. Die Wirkungen der einzelnen Geschehnisse sind so
mannigfaltige, vielseitige, verschlungene, daß entgegengesetzte
Aussagen über sie mit gleichem Rechte abgegeben werden können.
Daher findet jedes geschichtliche Ereignis, jede soziale Wandlung
ıhre einander widerstreitenden Beurteiler. So wie noch keine
geschichtliche Persönlichkeit, sei sie auch die größte, dem Tadel
und der Verwerfung entronnen ist, so ist noch kein Werk der
Literatur, der Kunst, der Wissenschaft, der Technik, das mit
höchstem I,oh gepriesen wurde, ‘irgendwann’ ungünstiger Be-