Full text: Allgemeine Staatslehre

95 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
zu den bleibenden Verdiensten der Sozialisten und derer, die 
von ihnen gelernt haben. 
Allein, wissenschaftliche Überlegung muß gegen die Ein- 
seitigkeit solcher Lehrsätze protestieren, insofern sie die gesamten 
politischen Probleme erklären wollen. Schon die Unmöglichkeit 
strenger Scheidung von Staat und Gesellschaft spricht dagegen, 
ferner die Erwägung, daß in der unendlichen Abfolge des 
historischen Geschehens alles zugleich Ursache und Wirkung ist, 
daher, wie schon angedeutet und später näher : auszuführen, 
das Leben der Gesellschaft vom Staate ebenso beeinflußt wird 
wie umgekehrt. Nicht minder einseitig und schief sind aber 
auch jene Konstruktionen, welche den Staat als über der Gesell- 
schaft stehend erklären und die Monarchie als eine über den 
sozialen Parteien stehende Institution rechtfertigen wollen!). So 
wenig als ein außerstaatliches läßt sich ein gesellschaftsloses Indı- 
viduum finden, und alles Streben, über den Parteien zu stehen, 
kann den Monarchen nicht verhindern, bestimmten sozialen 
Gruppen näher zu stehen als anderen. Es gibt dynastische 
Interessen, die partikular-sozialer, nicht allgemein staatlicher Art 
sind. Der über der Gesellschaft stehende Staat gehört dem 
idealen, nicht dem Durchschnittstypus des Staates an. 
Mit dieser Erkenntnis steht aber der wichtige, später näher 
darzulegende Satz, daß der Staat Vertreter der Gemein- 
interessen seines Volkes sei, durchaus nicht im Wider- 
spruch. Man darf eben, wie es so häufig geschieht, Volk und 
Gesellschaft nicht identifizieren. Das Staatsvolk fällt mit dem 
Herrschaftsbereich des Staates zusammen, die Gesellschaft nicht. 
Ein großer Teil der gesellschaftlichen Interessen erstreckt sich 
weit über die Grenzen eines jeden Einzelstaates hinaus, und 
damit wird auch jedes Volk in seiner Gesamtheit zu einer großen 
Gesellschaftsgruppe, seine Interessen zu partikularen Interessen. 
Daher wird ein und dasselbe gesellschaftliche Interesse in ver- 
schiedenen Staaten verschieden gewertet werden. Man denke 
nur an die Stellung herrschender Kirchen und konfessioneller 
  
1) Die Lehre vom sozialen Königtum ist von Saint-Simon be- 
gründet und sodann von L.v.Stein dialektisch entwickelt worden. 
Vgl. hierüber L. Brentano in Schönbergs HB. d. pol. Ök. 1. Aufl. I 
S.935ff. Sie bildet ein Fundament der Staatslehre von Gneist. 
Vgl. ferner O.Mejer a.a.0. S.11ff,;, Klöppe! Staat und Gesellschaft 
1887 5.195 ff.
	        
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