Full text: Allgemeine Staatslehre

100 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
einer bestimmten Epoche und innerhalb eines bestimmten Volkes 
sowie bestimmter sozialer Gruppen dieses Volkes wirken daher 
auch in tiefgreifender Weise sowohl auf die menschlichen In- 
stitutionen als auch auf das faktische Leben des Staates cin. 
Von allen Sätzen über das Verhältnis der Gesellschaft zum Staate 
ist dieser am frühesten in das wissenschaftliche Bewußtsein ge- 
treten. Das hellenische Denken erblickte gemäß seiner Auf- 
fassung des Staates in der sozialen Tüchtigkeit der Bürger die 
sicherste Gewähr staatlichen Gedeihens, ja die gesamte Ethik ist 
dem Griechen so innig mit dem Staäte verknüpft, daß Aristoteles 
sie ganz einem weiteren Begriff der Politik untergeordnet hat. 
Auch der späteren Staatswissenschaft ist der Gedanke ihrer Ver- 
bindung mit der Ethik lebendig geblieben, und namentlich dem 
Verhältnis der Ethik zur Politik im modernen Sinne sind ein- 
gehende Untersuchungen gewidmet worden. Befriedigende Rec- 
sultate für die theoretische Erkenntnis des Staates werden aber 
nur durch sorgfältige Einzeluntersuchungen zu erreichen sein, 
welche die Verbindung konkreter sozialethischer Zustände mit 
dem Leben bestimmter Staaten aufdecken. Das Bedeutendste 
dieser Art ıst bisher von Historikern, namentlich Kulturhistorikern, 
geleistet worden. Statt aller sei hier nur auf die Bildung und 
Schicksale der Renaissancestaaten Italiens hingewiesen, die ohne 
gründliche Erforschung der sittlichen Zustände des damaligen 
Italiens ganz unverständlich bleiben. 
Wie aber einerseits der Staat durch den stetigen Wandel 
der sozialethischen Anschauungen sich fortwährend ändert, so 
wirkt er selbst anderseits durch seine Institutionen und politische 
Lebensbetätigung auf den sittlichen Zustand der Gesellschaft ein. 
An sozialen Schäden und Gebrechen trägt der Staat oft einen 
nicht geringen Teil der Schuld; durch Abwehr und Förderung 
kann er aber auch seinen Beitrag zur Hebung der sozialen Sitt- 
lichkeit liefern. Diese Sätze sind so einleuchtend, daß sie näheren 
abstrakten Beweises kaum bedürftig sind. Wohl aber ist es 
wiederum Aufgabe spezialisierter Forschung, an bestimmten Ver- 
hältnissen Art und’ Macht des staatlichen Einflusses auf die so- 
ziale Sittlichkeit nachzuweisen. 
2. Auch die anderen der Gesellschaft entspringenden gei- 
  
d.ö.R. 28. Bd. 1912 S.298 ff.; über die Verweisungen des Gesetzgebers auf 
gesellschaftliche Anschauungen, Sätze der Ethik und sonstige außerrecht- 
liche Sätze W. Jellinek Gesetz, Gesetzesanwendung usw. 1913 883 u.4.
	        
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