Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechstes Kapitel. Das Wesen des Staates. 139 
stische. Die Verkennung und Verwischung des hier dargelegten 
Unterschiedes ist Ursache der verhängnisvollsten Irrtümer bis 
auf die Gegenwart herab geworden. Die juristische Natur des 
Staates und seiner Institutionen wird fortwährend mit seiner 
sozialen Realität vermischt. Ja, daß es mehrere Erkenntnis- 
weisen des Staates gebe, ist überhaupt noch nicht zu klarem 
Bewußtsein durchgedrungen!?). 
Zur definitiven Klärung der Ansichten über den Staat ist 
vorerst: ein kritischer Überblick der bisher aufgestellten Staats- 
theorien unter Zugrundelegung der hier gewonnenen methodo- 
logischen Resultate notwendig. Die verschiedenen Theorien sollen 
nach den verschiedenen Erkenntnisarten des Staates geordnet 
und geprüft werden. Viele dieser Theorien sind Vereinigungs- 
theorien, in welchen, meist in unklarer Weise, Elemente ver- 
schiedener Kategorien nebeneinandergestellt oder in regelloser 
Weise miteinander verbunden werden. Bei solcher Vermischung 
wird es aber notwendig sein, die verschiedenen Theorien auf 
ihre einfachen Elemente zu reduzieren und diese gemäß der hier 
gefundenen Einteilung zu betrachten. 
  
Charakter der Rechtsbegriffe übersehend, die zur Erfassung des realen 
Substrates der Normen unzulänglich sind. Loening selbst kann denn 
auch diesen Standpunkt nicht festhalten: er spricht (S. 709) von dem 
Staat als historisch-politischer Einheit und bemerkt (S. 703), daß Staat 
und Recht Wechselbegriffe seien und daher auch das Recht den Staat 
voraussetze, damit selbst anerkennend, daß der Staat nicht völlig aus 
dem Rechte abgeleitet werden könne. Der Scheidung des Staates als 
sozialer Erscheinung und als Rechtsbegriffes hat sich hingegen ange- 
schlossen Seidler, a.a.0. S.17ff. Gegen Loening auch Menzel 
im Hdbch.d. Politik I 1912 S. 40. 
1) Auf Grund meiner bereits in früheren Werken vorgenommenen 
Trennung der beiden Auffassungsweisen des Staates sind sie nunmchr 
in vortrefflicher Weise auseinandergehalten und eingehend untersucht 
von Kıstiakowski, a.a.0. S.67ff. Die Möglichkeit verschiedener Er- 
kenntnisarten desselben Objektes sucht Bierling, Juristische Prinzipien- 
lehre I 1894 S.226 N.1, zu bestreiten. Es gebe wohl zahlreiche unvoll- 
ständige und unrichtige Antworten auf ein und dieselbe Frage, aber nuı 
eine vollständige und richtige. Für ein ens perfectissimum gilt das 
gewiß, nicht aber für uns, deren empirische Erkenntnis niemals voll. 
kommen ist. Daher ist das Zusammenfassen aller Erkenntnis eines Dinges 
in eine vollständige Antwort auf die Frage nach seinem Wesen eine ideale 
Forderung, deren Erfüllung für uns nicht Sache der positiven Wissen- 
schaft, sondern der stets nur subjektive Überzeugungskraft besitzenden 
Spekulation ist.
	        
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