146 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
die Wissenschaft dringt sie ein durch die absolutistische Theorie,
der Volk und Land nur als Objekte der fürstlichen Tätigkeit
erscheinen, während die ganze Wirksamkeit des Staates in ihr
allein .enthalten ist. Am schärfsten hat diese Wendung sich voll-
zogen in Hobbes, der durch den staatsgründenden Vertrag das
durch diesen geeinte Volk dem Fürsten oder dem herrschenden
Kollegium unterwirft, wodurch der Gemeinwille auf den Herrscher
übertragen wird. Trotzdem Hobbes den Staat für eine Kollektiv-
person erklärt, so ist dieses Kollektivum doch nur der äußere
Gegenstand, an dem sich die Herrschergewalt betätigen kann.
Alle staatliche Macht und alles öffentliche Recht aber sind aus-
schließlich in die Obrigkeit verlegt!). Die französische Theorie
des Absolutismus, wie sie von Bossuet formuliert wird, spricht
es unumwunden aus, daß der ganze Staat im Fürsten enthalten
seiÄ, hebt damit die Volksgesamtheit im Fürsten auf und macht
diesen dadurch zu einem überirdischen Wesen?). Im 19. Jahr-
hundert hat zuerst K. L. v. Haller diese Lehre in neuem Ge-
wande vorgetragen, indem er den Fürsten sogar als dem Staate
zeitlich vorangehend und das Volk für eine Schöpfung des
Fürsten erklärt®). In neuester Zeit aber ist die alte Herrscher-
theorie hervorgeholt worden, um die realistische Ansicht vom
Staate endgültig zu begründen. Ihr bekanntester Vertreter ist
Max v. Seydel®), dem sich namentlich Bornhak°) ange
schlossen hat. Seydel glaubt allen Fiktionen und falschen
Bildern in der Staatslehre ein Ende gemacht zu haben, wenn
er das Reale im Staate in Land und Leuten als dem Objekte
der Herrschertätigkeit erblickt, die ganze aktive Seite des
Staates aber ausschließlich in den über Recht und Gesetz er-
irdischen Reiche spricht, so bezeichnet er es als faordela, also persön-
liche Herrschaft eines Fürsten, Matth. X11, 25, Mark. III, 24, 25, Luk. XL 17,
wie denn auch das Reich Gottes als Königreich gedacht ist.
1) Elementa philosophica de cive Vl, Leviathan XVII.
2) Bossuet Politique tir6ee des propres paroles de l’Ecriture-
Sainte III 2,1: Les Princes agissent donc comme ministres de Dieu, et
ses lieutenants sur la terre.....C’est pour cela que nous avons vu que
le tröne Royal n’est pas le tröne d'un homme, mais le tröne de Dieu
möme; VI 1,1: nous avons vu que tout l’Etat est en la personne du
Prince.
8) Restauration der Staatswissenschaften I 2. Aufl. 1820 S. 511.
4) Namentlich Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre S.1ff.
5) Preußisches Staatsrecht I 1888 S.63£., nicht mehr so deutlich in
der 2. Aufl. I 1911 S. 64ff.; Allg. Staatslehre, 1.u. 2. Aufl. S.13.