Full text: Allgemeine Staatslehre

152 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Für die einpirische Naturerkenntnis können die organischen Vor- 
gänge nur höchst verwickelte mechanische sein. Das Ziel der 
Naturwissenschaft, dem sie nach der Ansicht der großen Mehrzahl 
der Naturforscher zuzustreben hat, ıst die Reduktion der an- 
scheinend organisch - teleologischen Vorgänge auf mechanisch- 
atomistische!). Jene neuere Richtung in der Biologie hingegen, 
welche dieses Ziel für unerreichbar erklärt und die Erscheinung 
des Lebens für unableitbar und von einem besonderen, mecha- 
nistischer Forschungswcise unzugänglichen Prinzip beherrscht 
ansieht, kann uns über die organisierende Kraft keinen Aufschluß 
geben: sie steht vor einem Rätsel, das sie mit den Methoden 
exakter Naturerklärung nicht zu lösen vermag. 
So ist denn der Begriff des Organismus das Resultat einer 
bestimmten Anschauungsweise. Eine bestimmte Gattung äußerer, 
räumlich und zeitlich kontinuierlicher Erscheinungen und Vorgänge 
wird in unserem Bewußtsein durch teleologische Betrachtung 
zu einer Einheit zusammengefaßt, ohne daß wir mit zureichenden 
Gründen behaupten können, dieser Synthese in unserem Innern 
entspräche eine analoge objektive Einheit außer uns?). Wir be- 
finden uns bereits auf dem Boden der Metaphvsik, wenn wir 
solche objektive Einheit ins Seiende verlegen. Daß der Orga- 
nismus als solcher außerhalb unseres urteilenden Bewußtseins 
existiere, hat denselben Wahrheitswert wie etwa die Anschauung, 
daß es unabhängig von unserer Empfindung eine objektive Welt 
der Farben und Töne gebe. 
Dieser Einwand kehrt‘ aber verdoppelt bei der Lehre von 
den sozialen Organismen wieder. Daß wir fortwährend die Viel- 
heiten, welche die sozialen Vorgänge in verwirrender Fülle dar- 
  
1) Vgl. unter den Physiologen der Gegenwart z.B. L.Hermann. 
Lehrbuch der Physiologie, 14. Aufl. 1910 S.6; Landois-Rosemann 
Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 13. Aufl. I 1913 S.5f, 8; 
J.Steiner Grundriß d. Physiologie d. Menschen, 9. Aufl. 1906 S. 1f. 
2) Die Biologie in ihren Anfängen operiert mit dem Begriff der 
Lebenskraft als des objektiven organisierenden Momentes. Die neuere 
Biologie hat dieses organisierende Prinzip längst in das Gebiet der Pban- 
tasie verwiesen. Vgl. Hermann a.a.0. S.5öf. Selbst den neovita- 
listischen Versuchen der Gegenwart liegt es fern, den ganzen Organismus 
von neuem auf der Lebenskraft aufzubauen. Br.Schmidt hingegen, 
Der Staat S.2, vgl. auch S. 111, 116, läßt noch die tierischen und pflanz- 
lichen Organismen und schließlich auch den Staat auf dieser von der 
Wissenschaft verworfenen angeblichen Kraft beruhen.
	        
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