Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechstes Kapitel. Das Wesen des Staates. 157 
Da nun die organische Theorie, als wesentlich mit Analogien 
arbeitend, reale Erkenntnis nicht zu gewinnen vermag, So ist es 
besser, sie gänzlich abzuweisen, weil die Gefahr der falschen 
Analogie viel größer ist als der Vorteil der richtigen. Zudem 
übersieht sie die Notwendigkeit ununterbrochener reflektierter, 
zweckbewußter Tätigkeit für den Staat, ohne welche er nicht 
einen Augenblick zu existieren vermag, oder sie kann wenigstens 
diese Tätigkeit von ihren Prinzipien aus nicht erklären. Am 
energischsten abzulehnen aber ist die Lehre, die eine Mehrheit 
sozialer Organismen nebeneinander existierend behauptet, die 
alle dieselben Individuen als Glieder umfassen sollen, also Staat 
Kirche, Genossenschaften, weil das selbst der biologischen Analogie 
widerstreitet, die ein Glied immer nur als einem einzigen Ganzen 
zugehörig betrachten kann. Auch die einen derartigen Fehler 
vermeidende Theorie eines Gesamtorganismus, der verschiedene 
Teilorganismen in sich schließt, wäre auf die sozialen Verhältnisse 
unanwendbar, weil ein solcher höchster sozialer Organismus un- 
auffindbar ist. So kann man die Kirche niemals bloß als Glied 
des Staates, noch weniger den Staat als Glied der Kirche auf- 
fassen. Setzt man aber die Menschheit als jenen höchsten 
Organismus, so wäre man damit glücklich bei einer Hypostasierung 
der Gattung angelangt, die selbst den scholastischen Realismus 
überbieten würde. 
Auch die Geschichte der organischen Lehre beweist klar 
ihren geringen wissenschaftlichen Wert, da der Begriff des 
Organismus aus dem Mechanismus, d.h. der menschlichen zweck- 
mäßigen Einrichtung, hervorgegangen ist, und da Organ ursprünlich 
nichts anderes bedeutet als Werkzeug. Der Begriff des Organismus 
ist seinem Ursprung nach ein anthropomorphischer, indem der 
Mensch selbst zunächst als ein mit zweckmäßigen Einrichtungen 
versehenes Individuum aufgefaßt wird!). Schrittweise gelangt 
  
fassung der Gesamtheit des Seienden als eines empirisch Gegebenen, die 
aller menschlichen Wissenschaft zugrunde zu legen ist. Die Begründung 
der empirischen Methoden im Gegensatz zu den spekulativen ist nicht 
zum geringsten das Werk der modernen Philosophie gewesen: Bacon, 
Locke, Berkeley und Hume, Descartes, Spinoza und Kant haben die 
allgemeinen Prinzipien der Erfahrungswissenschaft in der für alle ihre 
Disziplinen bedeutungsvollen Weise entwickelt. 
1) Vgl. darüber meine näheren Ausführungen, System der sub). Öff. 
Rechte S. 35ff. Eine Geschichte der Ausdrücke und Begriffe ‚mechanisch- 
organisch“ nunmehr bei Eucken Geistige Strömungen der Gegenwart,
	        
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