Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebentes Kapitel. Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 1897 
Völkern, denen Staats- und Religionsgemeinschaft in weiterer 
oder geringerer Ausdehnung zusammenfielen, daher bereits ın 
den altorientalischen Staaten zu Hause, sowie auch in Hellas 
und Rom. Die Worte des Demosthenes, die in die Digesten 
‚aufgenommen worden sind, daß dem Gesetz Gehorsam zu zollen 
sei, weil es Erfindung und Geschenk Gottes ist!), drücken in 
prägnanter Form die populäre Überzeugung der antiken Völker 
von der göttlichen Sanktion der staatlichen Ordnung aus. 
Ganz anders als in der alten Welt entwickelt sich diese Lehre 
in der christlichen. Das Christentum steht dem Staate anfänglich 
mindestens gleichgültig gegenüber?). Da es dem Christentum 
aber notwendig wird, sich mit dem römischen Staate auseinander- 
zusetzen, so lehrt es Anerkennung der staatlichen Autorität und 
Unterwerfung unter sie, dadurch gewiß auch dem Verdacht der 
Staatsfeindschaft vorzubeugen versuchend. Das ändert sich indes 
mit dem Siege des Christentums. Durch Chrysostomus?) und 
in folgenreicher Weise durch Augustinus wird eine bedeut- 
same Wendung vollzogen. Indem Augustinus der civitas dei 
die civitas terrena gegenüberstellt, welche zwar nicht mit dem 
geschichtlich gegebenen Staate identisch ist, aber doch unver- 
kennbar dessen Züge trägt*), und diesen irdischen Staat für 
eine notwendige Folge des Sündenfalles erklärt, erscheint der 
Staat als ein Werk des Bösen, das auch dereinst am Ende aller 
Tage den Lohn der Sünde empfangen werde. Nicht göttlich, 
sondern teuflisch ist dieser irdische Staat, und damit scheint die 
Lehre von der göttlichen Einsetzung der Obrigkeit in ihr Gegen- 
1) L.2 D. de legibus 1,3: örı näs Eori vouos evonua ur xal door Yeod. 
2) „At enim nobis ab omni gloriae et dignitatis ardore frigentibus 
nulla est necessitas coetus, nec ulla magis res aliena, quam publica.“ 
Tertullianus Apologeticus c. XXXVIl. 
3) Der Staat ist auch ihm ein durch die Sünde notwendig gewordenes 
Übel. Vgl. H.v.Eicken Geschichte und System der mittelalterlichen 
Weltanschauung 1887 S. 122. 
4) Über die mystische Konstruktion der beiden Staaten in Augustinus 
de civitate dei vgl. Reuter Augustinische Studien 1887 S. 12Sff.; Rehm 
Geschichte S. 156. Wenn Augustinus selbst in erster Linie die Ver- 
teidigung des Christentums gegen das Heidentum bezweckt und bei ihm 
keineswegs schon der deutliche Gegensatz von Staat und Kirche vor- 
handen ist (Reuter S.151f.), so ist doch seine Lehre später als auf 
diesem Gegensatz fußend aufgefaßt worden und hat dadurch auf die 
politischen Anschauungen des Mittelalters gewirkt.
	        
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