188 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
teil verkehrt. Allein wie die Sünde ist auch er durch Gottes
Zulassung da und insofern noch immer ein Bestandteil des gött-
lichen Weltplans. Wie alles, was der Sünde entspringt, dient
auch er dazu, die göttliche Gnade, die dem Auserwählten Er-
lösung verheißt, in das hellste Licht zu stellen. Sie wird trium-
phieren, wenn der Gottesstaat den irdischen für immer über-
wunden haben und die Zeit von der Ewigkeit verschlungen sein
wird. Nur der sich in den Dienst des Gottesreiches stellende
Staat hat relative Berechtigung, obwohl auch er dem Irdischen
und der Vergänglichkeit angehört?).
Dieser augustinische Gedanke zieht sich durch die ganze
kirchliche Lehre des Mittelalters hindurch?); er liegt auch heute
noch der katholischen Staatslehre zugrunde, wurde aber nicht
minder von der deutschen Reformation rezipiert und ist bis auf
die Gegenwart herab von der protestantischen Orthodoxie ver-
fochten worden). Die praktische Tendenz dieser Lehre war auf
die Unterordnung des Staates unter die Kirche gerichtet, die
bereits kurze Zeit nach der Christianisierung des römischen
Reiches gefordert wurde. Aus der Augustinischen Theorie nimmt
Gregor VII. seine schärfsten Waffen im Kampfe mit dem
Kaiser®), nicht minder aber alle, die auf Seiten der geistlichen
Gewalt in diesem Kampfe stehen.
Diese schroffe Haltung der Kirche gegenüber dem Staate ließ
sich jedoch auf die Dauer nicht konsequent festhalten, und es
1) Vgl. über den letzten Punkt Gierke Genossenschaftsrecht IIl
S. 126, 127.
2) Vgl. v.Eicken a.a.0. S. 356 ff.
3) Vgl. Stahl Philosophie des Rechts Il! S.153ff. Wenn Stahl
selbst auch von Augustinus erklärt, daß er weit über die Grenze gehe,
so steht er, trotz der Behauptung, daß der Staat eine göttliche Institution
sei, dennoch der Grundanschauung des Augustinus, wie auch aus seinen
Ausführungen 2.2.0. S.48ff. u. Il? S.179ff. hervorgeht, keineswegs
schroff gegenüber. Die irdische Ordnung ruht auf der Sünde, der Beruf
des Staates aber auf dem Dienste Gottes, — das entspricht ganz jener
altchristlichen Lehre. Mit weniger Umschweifen als Stahl hat sich
v. Mühler, Grundlagen einer Philosophie der Staats- u. Rechtsiehre
nach evangelischen Prinzipien 1873 S.126ff., zur Augustinischen Theorie
bekannt.
4) Namentlich in dem berühmten Schreiben an den Bischof Her-
mann von Metz 1081. Mon. Germ. SS. Vll p.357. Die bezeichnendsten
Stellen angeführt von Gierke, Genossenschaftsr. III S. 524 N. 16.