Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebentes Kapitel. Die J,ehren von der Rechtfertigung des Staates. 197 
Strebens aufstellen. Daher ziehen die Sophisten aus ihren Prä- 
missen die unwiderlegliche Folgerung, daß der über die Natur 
des Staates Aufgeklärte mit allen Mitteln nach der Herrschaft 
streben solle, und die Worte des Kallikles!) bedeuten sicher- 
lich der Weisheit letzten Schluß. Aber auch die Weisungen, die 
Machiavelli den am Ruder Stehenden erteilt, um sich im. 
Besitze der Herrschaft zu behauplen, müssen die Anhänger der 
Machtlehre als unwiderlegliche politische Wahrheit gelten lassen. 
Denn Streit über sie kann höchstens in der Richtung geführt 
werden, ob sie klug, nicht aber, ob zie zulässig sind. 
3. Die Rechtstheorien. 
Unter Rechtstheorie verstehe ich diejenige Gruppe von Lehren, 
welche den Staat auf einen Satz der Rechtsordnung stützen, ihn 
selbst also als Produkt des Rechtes ansehen. Sıe gehen alle, 
ausdrücklich oder unausgesprochen, von der Anschauung aus, 
daß es eine dem Staate vorangehende und über ıhm stehende 
Rechtsordnung gebe, aus der er selbst abzuleiten sei. Sıe treten 
geschichtlich in drei Formen .auf. Entweder wird der Staat als 
ein familienrechtliches, oder als ein sachenrecht- 
liches, oder als ein vertragsrechtliches Institut auf- 
gefaßt. Es sind die Patriarchal-, die Patrımonial- und die Ver- 
tragstheorie, die hier zur Sprache kommen). 
a) Familienrechtliche Begründung des Staates. 
Die Patriarchaltheorie. Daß der Staat geschichtlich aus 
der Familie hervorgegangen sei, sich als eine erweiterte Familie 
darstelle, ist eine Anschauung, die in den geschichtlichen Er- 
innerungen vieler Völker begründet ist. So stellten sich die 
Griechen den Staatenbildungsprozeß wesentlich als eine allmäh- 
liche Ausdehnung der Familie und als eine Zusammenschmelzung 
mehrerer dergestalt vergrößerter. Familien zu einem Gemeinwesen 
dar. Nicht minder bewahrte Rom in seiner Organisation tief- 
gehende Spuren einer ursprünglichen Föderation von Familien. 
Namentlich aber zeigt sich der israelitische Staat auf Grund der 
biblischen Schriften als erwachsen aus den Nachkommen einer 
  
1) Plato Gorg. 482E ff. 
2) Über die neue Theorie der „Rechtssouveränität“ (Krabbe Die 
Lehre der Rechtssouveränität 1906 S.168ff.) vgl. unten S. 364 N.1; bei 
Krabbe S. 85ff. eine eingehende Kritik der Machttheorien.
	        
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