Full text: Allgemeine Staatslehre

216 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
des Rechtes. In allen ihren Nuancen geht sie aus von einem 
Rechte, das ohne alle gesellschaftliche Organisation existiert... Sie 
nimmt einen oder mehrere Sätze einer feststehenden staatlichen 
Rechtsordnung, um aus ihr den Staat herzuleiten, was nichts 
anderes als ein naives Voreoov nooteoov ist. Wie:lange Zeit 
hat es gedauert,.ehe der Sätz von der bindenden Kraft der Ver- 
träge, der dem Naturrecht so selbstvetständlich erscheint, über- 
haupt gefunden wurde! Daß der bloße Konsens absolut ver- 
pflichtende Kraft habe, ist überdies auch heute ein nirgends in 
ausnahmsloser Geltung stehender Satz. Ferner ist es unmöglich, 
das objektive Recht für Inhalt und Rechtsfolgen des Grund- 
vertrages aufzuweisen. Daher auch die lehrreiche und interessante 
Erscheinung, wie Naturrecht und Staatsvertrag von den ver- 
schiedenen Schriftstellern so konstruiert werden, daß ihre je- 
weiligen politischen Forderungen sich scheinbar deduktiv aus 
allgemeinen Prämissen ergeben, in welche doch mit offener oder 
versteckter Kunst die angebliche Konsequenz bereits hineingelegt 
war. Der größte Mangel der naturrechtlichen Begründung des 
Vertrages ist aber die Unmöglichkeit, die absolute Bindung des 
Individuums durch den einmal abgegebenen Konsens zu erweisen. 
Ist der Mensch seinem Wesen nach frei, dann ıst der Satz 
Rousseaus unwiderleglich, daß die Freiheit unverzichtbar sei, 
dann kann aber das Individuum kraft dieser unverzichtbaren 
Freiheit auch jederzeit den Vertrag lösen. Diese letzte logische 
Konsequenz der Naturrechtslehre ist in voller Klarheit von 
J. G. Fichte gezogen worden. Ändert jemand seinen Willen, 
so ist er von diesem Augenblick an nicht mehr im Vertrage; er 
hat kein Recht mehr. auf den Staat, der Staat keins mehr auf 
ıhn!). Kann einer aus dem Staate treten, so können es mehrere. 
Diese stehen nun gegeneinander und gegen den Staat, den sie 
verließen, unter dem bloßen Naturrechte. Wollen die, welche 
sich abgesondert haben, sich enger untereinander vereinigen und 
‚einen neuen Bürgervertrag auf beliebige Bedingungen schließen, 
so haben sie vermöge des Naturrechts, in dessen Gebiet sie sich 
  
1) A.a.0. S.115. Die Unverbindlichkeit der Verträge kraft Natur- 
rechts hatte früher schon Spinoza behauptet, daher seine Lehre vom 
staatsgründenden Vertrage (Tract. theologico-politicus c. XVI) nur auf 
freie Anerkennung des objektiv notwendigen menschlichen Machtverbandes 
durch seine Glieder zielt.
	        
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