Full text: Allgemeine Staatslehre

228 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
mit einer Rüstung zu Einsicht und Tugend, kann dieselbe jedoch 
gar leicht zum Gegenteil gebrauchen; deshalb ist er auch ohne 
Tugend das wildeste und ruchloseste Geschöpf, schlimmer als 
alle anderen in Unzucht und Völlerei. Die Gerechtigkeit nun aber 
(der Gegensatz zu jenem gefährlichen Unrecht) ist an den Staat 
gebunden; denn das Recht ist nichts als die Ordnung der staal- 
lichen Gemeinschaft, und es bestimmt sein® Entscheidung nach 
dem Begriff der Gerechtigkeit‘ ?). 
Wenn so eine wissenschaftliche Begründung des Staates ınög- 
lich ist, so wäre es weit gefehlt, daraus zu schließen, daß sich 
irgendeine bestimmte Form des Staates, eine Verteilung der Herr- 
schaftsbefugnisse in ihm, irgendwie aus einem allgemeinen Prin- 
zipe als allein gerechtfertigt ableiten ließe. Gerade weil zu allen 
Zeiten politische und soziale Parteien und ihre theoretischen Par- 
tisane in derartige Lehren zu verfallen geneigt sind, muß die 
ernste Wissenschaft solches Beginnen von sich abweisen. Einen 
allgemein gültigen Idealtypus des Staates könnte man nur auf 
Grund metaphysischer Prinzipien behaupten, über welche Über- 
einstimmung niemals stattfinden wird. Jeder Einzelstaat aber in 
seiner konkreten Ausgestaltung ist das Werk geschichtlicher 
Mächte, deren Wirkung sich zwar begreifen, aber niemals als ab- 
solut vernünftig und daher schlechthin anzuerkennend darstellen 
läßt. Der praktischen Politik und den Wünschen der Parteien 
bleibt ihr Recht, das Gegebene zu verändern, gewahrt, wissen- 
schaftliche politische Untersuchung kann und soll Verbesserungen 
anbahnen. Eine Wissenschaft aber, die Parteiansprüchen absolute 
Geltung unterlegt und irgendeinen empirischen Staatstypus ratio- 
nalisiert und für den allgemein gültigen erklärt, verfehlt ihr Ziel. 
Sie überzeugt nicht die noch nicht Überzeugten und erzeugt statt 
gehoffier Zustimmung unerwünschte Opposition, wie jeder er- 
kennt, der die innere Verkettung der politischen Theorien in ihrer 
geschichtlichen Abfolge erforscht und dadurch die Einsicht er- 
langt hat, daß jede Apotheose irgendwelcher staatlicher Zustände 
sofort die schärfste Kritik und die Rationalisierung entgegen- 
gesetzter Verhältnisse hervorgerufen hat. 
Daher kann auch die Rechtfertigung des Staates immer nur 
den gegenwärtigen und künftigen Staat vor Augen haben. Die 
Vergangenheit steht als historische Tatsache hinter uns; sie als 
ein Anzuerkennendes nachzuweisen, ist vergebliche Mühe. Meta- 
1) Pol. 1 2, 1253a, 31 ff. 
 
	        
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