Full text: Allgemeine Staatslehre

232 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Diese Frage nach dem objektiven universellen Staatszweck 
ıst aber gerade in der Zeit, wo der Entwicklungsgedanke als 
allgemeines Prinzip von der philosophischen Spekulation auf- 
gestellt wurde, als unberechtigt negiert worden. Vor allem die mo- 
derne organische Staatslehre zählt Anhänger, welche die Zweck- 
losigkeit des Staates behaupten!). Mit vollem logischen Rechte, 
wenn man mit der naturwissenschaftlichen Analogie Ernst macht. 
Denn die Frage, ob ein Organismus irgendeinen Zweck für 
etwas außer ıhm Liegendes habe, ist unter empirisch-natur- 
wissenschaftlichem Gesichtspunkte unzulässig. Gewöhnlich erklärt 
die organische Theorie, daß der Staat sich selbst Zweck sei, den 
Zweck seines Seins in sich trage?), was eben nur ein anderer 
Ausdruck für die Negation des objektiven Zweckes ist. Noch 
energischer als die organische wird eine mechanisch-materialisti- 
sche Welt- und Geschichtsauffassung zur Lehre von der absoluten 
Zwecklosigkeit des Staates getrieben. Eine teleologische Welt- 
anschauung wird hingegen dem Staate einen über sein bloßes 
Dasein hinausreichenden Wert zuschreiben, indem sie den Sinn 
der Geschichte zu erraten trachtet?). Es hängt daher ganz von 
den geschichtsphilosophischen Anschauungen ab, die als Bestand- 
teil eines Weltbildes erscheinen, welche objektive Wertgröße der 
Institution des Staates zugeschrieben wird. Solche Philosophie 
der Geschichte wird zwar niemals ganz aus dem Bereiche der 
Spekulation verschwinden, da alle Einsicht in die Grenzen unserer 
Erkenntnis das Streben nach Totalität des Wissens nicht zu 
unterdrücken vermag. Aber wenn auch zugegeben wird, daß hier 
wie auf jedem Wissensgebiete die Ergänzung des Erforschten 
  
agnoscendus, ita uf ad maiorem semper cultum procedat.“ De rerum 
originatione.e. Opera philosophica, ed. Erdmann 1840 p.150. Die 
moderne nafurwissenschaftliche Weltanschauung sucht den durchaus 
rationalen und teleologischen Begriff der Entwicklung dieses seines 
ursprünglichen Charakters zu entkleiden. Über die Geschichte des Ge- 
dankens und Problems der Entwicklung vgl. namentlich die eingehende 
Untersuchung von Eucken, Geistige Sirömungen, 4. Aufl. 1909 S. 192 ££. 
1) So unter den neueren Preuß, Gemeinde, Staat, Reich S. 281. 
2) Zuerst Schelling Vorlesungen über das akademische Studium 
1803 S.235f. und Adam Müller Elemente der Staatskunst 1809 IS. 66 £. 
3) Solche Lehren vom universalen objektiven Staatszweck sind die 
von der Realisierung des Menschheitszweckes durch den Staat (Literatur 
bei Murhard S.306£f.) und vom Abbild des allgemeinen Gottesreiches 
durch den Staat, vgl. Mohl Enzyklopädie S. 84f.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.