238 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
des zu gründenden Staates als Motiv der politischen Neu-
bildung auf!?).
So bedeutsam gerade diese letzte Tatsache für die Erkenntnis
der im Bewußtsein der Fürsten und Völker lebendigen An-
schauungen über die Staatszwecke ist, so muß man sich aber
auch die Grenzen der Bedeutung dieser politischen Teleologie vor
Augen halten. Die früher häufig gehörte Behauptung, daß es
die wichtigste Aufgabe der Staatslehre sei, die Staatszwecke fest-
zustellen, weıl sich aus ihnen deduktiv die Gesamtheit der
Staatstätigkeiten ergebe, ist in dieser Fassung unrichtig. So wenig
bloß mittelst logischer Gesetze Erkenntnis, mittelst ästhetischer
Gesetze Kunstwerke erzeugt werden können, so wenig läßt sich
durch bloße Deduktion aus dem Staatszwecke irgendeine positive
politische Aufgabe lösen. Setzt man Verwirklichung des Rechtes
als Staatszweck, so sagt uns diese Formel niemals, was als Recht
zu gelten habe, weil die konkrete Gestaltung des Rechtes immer
von den jeweiligen sozialen Verhältnissen eines bestimmten Volkes
abhängig ist. Da derselbe oberste Zweck durch zahllose Mittel
erreicht werden kann, so belehrt uns die Kenntnis des Zweckes
keineswegs über die ihn verwirklichenden Mittel. Daher zeigt
auch die Geschichte der politischen Theorien das lehrreiche
Schauspiel, daß nicht selten die jeweiligen Parteiansichten des
Autors scheinbar mit logischer Notwendigkeit unmittelbar aus
dem Staatszweck deduziert werden. Solchem höchst bedenklichen
Beginnen gegenüber muß allerdings konstatiert werden, daß der
konkrete Inhalt der Staatstätigkeit immer nur empirisch, und
zwar nur für den jeweiligen Einzelstaat bestimmt werden kann.
Der Hinblick auf die obersten Staatszwecke, bleibt aber bei
jedem Staate stets der Regulator der politischen Tätigkeit.
Sie besagen zunächst nicht sowohl, was zu geschehen, als viel-
mehr, was zu unterbleiben habe, und, diese negative Wirkung ist
geschichtlich von hohem \ert gewesen und wird ihn auch
politisch noch in alle Zukunft behalten. Unsere ganze moderne
1) Auch sonst haben Verfassungsurkunden sich auf den Staatszweck
berufen. So spricht die Einleitung zur baverischen Verfassung vom
26. Mai 1818 von den „allgemeinen und besonderen Forderungen des
Staatszweckes". Am ausführlichsten und phrasenreichsten ist der Staats-
zweck in der Konstitution der zweiten französischen Republik vom
4. November 1848 definiert worden; vgl. Duguit et Monnier Les Con-
stitutions et les principales lois politiques de la France, 2. &d. 1908 p. 233.