Full text: Allgemeine Staatslehre

Achtes Kapitel. Die Lehren vom Zweck des Staates. 239 
Kultur beruht mit auf der Überzeugung, daß die Staatsgewalt 
Grenzen habe, daß wir nicht einer schrankenlosen Allmacht unier- 
worfene Staatssklaven sind. Eine rein formal-juristische. Be- 
trachtung des Staates kann niemals zur Erkenntnis materieller 
Schranken der Staatstätigkeit gelangen, sie vermag keine anderen 
Schranken anzuerkennen als die, welche der Staat sich selber 
setzt, ist aber außerstande, den Inhalt dieser schrankenseizenden 
Tätigkeit irgendwie zu bestimmen. Die Existenz solcher Schranken 
ist erst durch die fortschreitende Erkenntnis der Gebundenheit 
des Staates durch seine Zwecke nachgewiesen worden. Das 
großartigste Beispiel hierfür bietet die heutige Stellung des 
Staates zur Religion. Daß es nicht Aufgabe des Staates sein 
könne, die Gewissen zu beherrschen, ist in erster Linie durch 
die nach langen Kämpfen errungene Einsicht in die Grenzen, 
die dem Staate durch sein Wesen und daher durch seine Zwecke 
gesetzt sind, erkannt worden. Die Erkenntnis der Bedeutung 
des staatlichen Rechtszweckes hat in hohem Grade ınitgearbeitet 
an der Überwindung des Polizeistaates, die Erkenntnis des Kultur- 
zweckes an der Aufhebung gemeinschädlicher Institutionen. Alle 
großen Revolutionen der neueren Zeit haben unter Berufung auf 
den Staatszweck begonnen. Diese negative, regulierende Kraft 
bewährt die Erkenntnis der Staatszwecke aber fortwährend ım 
täglichen politischen Leben, indem sie einen kritischen Maßstab 
für die bestehenden Verhältnisse abgeben und an ihnen gemessen 
das Gegebene als ab- oder umzuschaffend behauptet wird. Aller- 
dings ist hier wieder einer jener praktisch unvermeidlichen 
Punkte gegeben, wo das Parteiinteresse sich an Stelle des Staats- 
interesses zu setzen trachtet und das der Partei Unbequeme als 
staatswidrig zu verwerfen sucht!). 
II. Überbliek über die einzelnen Zweektheorien. 
Die Geschichte der Lehren vom Staatszwecke ist so alt wie 
die Geschichte der Staatswissenschaft. Bei Aristoteles steht 
die politische Teleologie gemäß der ganzen Anlage seines philo- 
sophischen Systems am Ausgangspunkt seiner Untersuchungen 
  
1) Unter teleologischem Gesichtspunkt ergeben sich auch eine Menge 
möglicher Staatsdefinitionen ohne theoretischen Erkenntniswert. Was 
z.B. Rehm, Staatslehre S. 11, als philosophischen, politischen, ethischen 
Staatsbegriff bezeichnet, sind nichts als teleologische Beurteilungsmaß- 
stäbe für wirkliche oder erdachte Staaten.
	        
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