Full text: Allgemeine Staatslehre

Achtes Kapitel. Die Lehren vom Zweck des Staates. 241 
Inhalt der staatlichen Funktionen gänzlich absehen zu können, 
der für alle, die das gesamte Lehen des Staates verstehen wollen, 
an Wichtigkeit der Kenntnis der rechtlichen Formen mindestens 
gleichkommt. Da aber eine strenge Scheidung von Inhalt und 
Form des in ungebrochener Einheit existierenden Lebens trotz 
allem Bewußtsein ihrer gegenseitigen Grenzen nicht konsequent 
durchgeführt werden kann, so operiert auch diese Staatsrechts- 
lehre mit der Vorstellung des Staatszweckes, selbst dann, wenn 
sie es nicht ausdrücklich eingesteht. 
Um einen kurzen Überblick über die bisher aufgestellten 
Theorien zu gewinnen, haben wir zunächst an dieser Stelle noch- 
mals die bereits erwähnte Lehre von der Zwecklosigkeit des 
Staates oder dem Staate als Selbstzweck zu erwähnen, deren 
praktische Bedeutung darauf hinausläuft, die Berechtigung indivi- 
dueller Forderungen an die Organisation und Leistungen des 
Staates zu negieren. Unter der Hülle dieser Theorie verbirgt 
sich in der Regel eine bestimmte politische Ansicht. Die 
konservativ-reaktionäre politische Literatur der ersten Dezennien 
des 19. Jahrhuuderis hat, allen voran Hallert), mit der Leug- 
nung des Staatszwecks gearbeitet, um jede unbequeme Kritik 
gegen das Bestehende abzuwehren. Die angebliche Zwecklosig- 
keit des Staates löst sich bei diesen Schriftstellern in Wahrheit 
in den Gedanken auf, daß die Unveränderlichkeit der bestehen- 
den Gesellschaftsordnung, die Verhinderung der Verbreitung und 
des Sieges revolutionärer Ideen Zweck des Staates sei. 
Nur scheinbar gehört hierher eine andere, auf dem Boden der 
organischen Staatstheorie erwachsene Lehre, welche behauptet, 
was man die Zwecke des Staates nenne, seien in Wahrheit seine 
Funktionen?); ein unklarer, auf falscher Analogie mit dem natür- 
lichen Organismus beruhender Gedanke, denn Funktion des 
Staates ist Handlung des Staates, jede Handlung muß aber ein 
Motiv, daher einen Zweck haben: hat der Staat Funktionen, so 
hat er demgemäß auch Zwecke. Die Funktionen selbst aber für 
die Zwecke nehmen, hieße nichts anderes als Mittel und Zwecke 
miteinander verwechseln. 
  
1) Restauration d.StW. I: S. 470f. 
2) So Lasson, Rechtsphilosophie S.310ff.; auch Waitz, wenn 
er, Politik S. 11, den Staatszweck vom Standpunkt der organischen Lehre 
aus negiert, aber S.16 verschiedene Gebiete der Wirksamkeit des Staates 
unterscheidet. 
G.Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 16
	        
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