Full text: Allgemeine Staatslehre

Achtes Kapitel. Die Lehren vom Zweck des Staates. 255 
Um nunmehr die einzelnen staatlichen Zwecke festzustellen, 
bedarf es teleologischer Untersuchung der verschiedenen staat- 
lichen Einrichtungen und Tätigkeiten. In ihnen allein können 
wir die Zwecke ausgeprägt finden, die eine bestimmte Epoche 
dem Staate setzt. Wie als Recht nur das zu betrachten ist, 
was wirklich gilt, so ist’konkreter und damit relativer Staats- 
zweck nur der in den staatlichen Institutionen und Funktionen 
ausgeprägte. 
Der dem Staate zufallende Tätigkeitsbereich wird sich so- 
wohl auf Grund der historischen Entwicklung als der richtigen 
Einsicht in die von ihm zu versorgenden Zwecke in zwei große 
Abteilungen scheiden: Tätigkeiten, die ihm ausschließlich 
zukommen, und solche, mit welchen er nur ordnend, unter- 
stützend, fördernd oder abwehrend zu individuellen und sozialen 
Lebensäußerungen hinzutritt. 
3. Ausschließlich dem Staate zugehörig ist der Schutz der 
Gesamtheit und ihrer Glieder, damit auch des eigenen Gebietes 
gegen äußere Angriffe. Diese Tätigkeit und der ihr entsprechende 
Zweck haben dem Staate niemals, auch nicht in seiner rudimen- 
tärsten Form, gemangelt. Abwehr gemeinsamer äußerer Gefahr 
ist zu allen Zeiten das wirksamste Motiv zur Bildung machtvoller 
Verbände gewesen. Trotzdem hat es Epochen gegeben, wo diese 
Schutztätigkeit nicht exklusive Staatsaufgabe war, wo neben ihr 
Selbsthilfe in Form der Fehde, des Privatkrieges bestand. 
Ferner ist lange Zeit hindurch nicht nur Verteidigung, sondern 
auch Vergrößerung des Staates durch Eroberung oder anders- 
geartete Erweiterung seiner Machtsphäre durch kriegerische 
Mittel nach den Überzeugungen der Völker einer seiner wesent- 
lichen Zwecke. Trotzdem nun heute ın der Theorie dem 
Staate ım Verhältnis zu anderen nur ein defensiver Zweck 
gesetzt zu werden pflegt, so sind doch auch in der Gegenwart 
in dem Bewußtsein der Völker mannigfache auf Vergrößerung 
des Staates oder Herstellung neuer politischer Bildungen ge- 
richtete Zweckvorstellungen vorhanden, und man wird aufGrund 
der heutigen politischen, ökonomischen, nationalen Anschauungen 
ein solches offensives Vorgehen nicht überall als dem Staats- 
zweck widersprechend bezeichnen können. Die Kämpfe Preußens 
für Deutschlands, die Sardiniens für Italiens Einheit, die Ruß- 
lands für die christlichen Staaten der Balkanhalbinsel usw. 
werden von der allgemeinen Überzeugung als berechtigt und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.