258 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates,
5. Mit Machtbehauptung, Schutzgewährung und Rechts-
bewahrung haben lange Zeiträume den Zweck des Staates in der
Hauptsache als abgeschlossen betrachtet. Eine so kümmerliche,
den Staat auf einen Schutz- und Trutzverband nach außen, einen
Gerichtsverband nach innen reduzierende Anschauung findet so-
wohl in der politischen Wirklichkeit als in dem Bewußtsein von
dieser Wirklichkeit keine Stätte mehr. So wie Machtbesitz und
Rechtsgenuß nicht höchste Zwecke des Individuums sein können,
sondern nur Bedingungen für Erringung und Besitz anderer
Güter sind, so öffnen sich auch überall bei steigender Kultur dem
Staate neue Gebiete höchster Zwecke.
Schon der Macht-, Sıcherheits- und Rechtszweck nötigen den
Staat, seine Tätigkeit über die unmittelbar diesen Zwecken
dienenden Funktionen auszudehnen. Er muß vor allem auf die
Herbeischaffung der ökonomischen Mittel für diese seine Lei-
stungen bedacht sein. Die Größe dieser Mittel hängt aber von
der ganzen ökonomischen Lage seines Volkes ab. Daher ist
Stärkung der ökonomischen Produktion bereits indirekt in den
erörterten Staatszwecken als Mittelzweck mitinbegriffen. Die
Geschichte der wirtschaftlichen Verwaltungstätigkeit des Staates
lehrt, daß sie aus fiskalischen und militärischen Gründen ent-
standen ist. Vor allem ist das Kommunikationswesen mit dem
Heer- und Gerichtswesen, sodann aber mit gedeihlicher Staats-
tätigkeit überhaupt innig verbunden. Daher ist Sorge für die
Wege bereits im frühen Mittelalter als Staatsaufgabe anerkannt,
und heute nützen die neueren Institute der Post, der Telegraphen,
der Eisenbahnen dem Heerwesen und der Rechtspflege in hervor-
ragender Weise. Aber auch andere, überwiegend erst in neuester
Zeit dem Staate zugewachsene Verwaltungszweige dienen der
besseren Erreichung der exklusiven Staatszwecke. Das Gesundheits-
wesen erhält und fördert die physische Existenz des Volkes und
damit die Macht des Staates, nicht minder die Schutzeinrichtungen
für die arbeitenden Klassen. Die polizeiliche Tätigkeit im
weitesten Umfange dient dem Rechtsschutze; staatliche Beurkun-
dungen, Gewerbekonzessionen, das Pflegschaftswesen, Regelung
der Lehrlingsverhältnisse usw. sind für den Rechtszweck von
hoher Bedeutung. Daß geistig fortgeschrittene Nationen die
zurückgebliebenen im internationalen Wettbewerb überflügeln,
hat die Geschichte so häufig bezeugt, daß die Pflege der geistigen
Volksinteressen heute als selbstverständlich mit dem Machtzweck